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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
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ein großes Haus am Stadtrand, der Vater ist Ingenieur, die Mutter eine Frau Doktor, sie sind reich, er hat einen älteren Bruder, der wer weiß wo Soldat ist, und eine jüngere Schwester. Wenn er nach England zurückkehrt, will er Zivilpilot werden und um die Welt reisen. Er sagt, der Hügel kommt ihm vor wie das Paradies, er riecht seinen Duft, er hat kein schlechtes Näschen für einen Fremden, der vom Himmel gefallen ist, und abends, sagt er, legt er sich aufs Stroh und lauscht dem Gesang des Windes, der ihm Gesellschaft leistet, als würde er mit ihm reden. Er ist empfindsam wie ein Weib, unser Bürschlein da oben, vielleicht zu empfindsam. Die Stimme des Windes klingt überall gleich, sagt er. Doch da irrt er sich, will ich meinen, da irrt er sich gewaltig.«
    Abgesehen von dem letzten Punkt war klar, dass Arturo den jungen Engländer mochte, weshalb er es immer bedauerte, bei schlechtem Wetter in Spillace bleiben zu müssen.
    »Was er wohl den ganzen Tag treibt so ganz allein, der arme Bub?«, fragte Sofia, wenn es regnete und Familie Arcuri sich vor dem Herdfeuer versammelte und geröstete Kastanien und Schmalzgebackenes aß.
    »Er schreibt, Nonna, denkt nach oder schläft, er ist ja kein Windelmatz mehr, der sich bei ein bisschen Blitz und Donnerin die Hose macht«, entgegnete Ninabella. Und auch Arturo beruhigte seine Mutter: »Mach dir keine Sorgen, hörst du, Mà, er hat Brot und Belag genug für eine Woche, er stirbt weder an Hunger noch an Einsamkeit.«
    Manchmal verschlechterte sich das Wetter ohne Vorankündigung mitten am Tag. Der Himmel wurde finster, und es begann zu schütten. Bis hinauf auf den von Wind und Regen gepeitschten Hügel scholl das Meerestosen, die Wellen wurden immer höher und schmutziger, das Wasser sah aus wie braunes Erbrochenes, es verschlang den Strand, fraß sich durch den Eukalyptuswald, überschwemmte die Ruinen des Apollontempels und die Fischerhütten. Die niederrollenden Donner und Blitze am Horizont waren beängstigender als die Bombardierungen und die Flugabwehr, die die Wolken am Himmel über Crotone erleuchtete.
    An diesen Tagen der jähen Sintflut war Arturo gezwungen, die Nacht über in der Hütte Schutz zu suchen, und wenn er zu den Seinen zurückkehrte, sagte er: »Es war, als würde der Rossarco von der Hölle verschluckt, ich hatte schon Angst, alles würde ins Meer rutschen mitsamt der Casella und uns.«
    »Und Mino?«
    »Der war ruhiger als ich, er ist schlechtes Wetter gewohnt. Er wollte den ganzen Tag Karten spielen. Je mehr er verlor, desto mehr wollte er spielen, der gibt einfach nie auf. Ein Sturkopf wie wir.«
    Für die Arcuris war es ein Winter des Wartens: dass der Krieg endete, allem voran; dass Michelangelo eine Stelle an einer Schule der Umgebung bekäme und nicht etwa noch die Postkarte mit dem Einberufungsbefehl; dass es Frühling würdeund sie alle zusammen auf den endlich wieder roten Hügel steigen könnten.
    Vor allem Ninabella wartete auf gutes Wetter, um die Schönheit des »roten Hügels« zu zeichnen, so begann sie ihn zu nennen. Doch nicht nur, sie wollte auch William wiedersehen und ihn malen, bevor er für immer wegging, wollte versuchen, die Tiefe seiner blauen Augen auf die Leinwand zu bannen. Diesen Wunsch hatte sie auch ihrer Familie eröffnet, und alle hatten begeistert zugestimmt, sie für ihren genialen Einfall gelobt: »Sehr gut, Ninabella, dann haben wir eine Erinnerung an Mino, wenn er nach Hause zurückkehrt, so Gott will.«
    Nur die Mutter ahnte, dass unter der Asche des Malerwunsches auch Funken eines anderen Feuers glommen: die erste Verliebtheit ihrer Tochter. Mino sah gut aus, groß, mit meerblauen Augen, das konnte keine Frau übersehen, die nicht völlig blind war, auch nicht die alte Sofia, die eines Tages mit der ihr eigenen entwaffnenden Offenheit Ninabella zum Erröten gebracht und den nichtsahnenden Sohn alarmiert hatte: »Ich glaube, der Junge ist mit Absicht vom Himmel gefallen, um meine Enkelin zu heiraten, wenn dieser Unglückskrieg zu Ende ist. Schön und schön gesellt sich gern, Prinzessin und Prinz, so hat der Herr es gewollt. Das ist der Weg, einen anderen gibt es nicht mehr.«

24
    Zwischen einem Gewitterregen und dem nächsten waren Anfang Januar die Mandelbäume erblüht; im Februar hatte sich der Rossarco mit Flecken von gelbem Klee und rosa Pfirsichblüten überzogen. Ende März endlich explodierte der Frühling, die Luft wurde mild, die Landschaft war ein Jubel aus leuchtenden Farben, der bei den

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