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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
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denn aus Überzeugung.
    Der Engländer versteckte sich mit angehaltenem Atem hinter den Heuballen, auf Ninabellas Leinwänden hockend, und sein Herz wummerte lauter als die flüchtigen Schritte, die er für wenige, endlose Sekunden näher kommen und sich dann wieder entfernen hörte.
    Am Ende waren die Soldaten mit einer Beute aus Motorelementen wieder abgezogen, die sie als Ersatzteile verwenden konnten. Lina und die Schwiegermutter bekreuzigten sich.
    Nach Arturos Vorhersage zu urteilen, der in solchen Dingen selten irrte, konnte der Engländer von nun an ruhig schlafen. Dennoch hatten sie ihm vorsichtshalber Arbeitshosen, ein Leinenhemd und eine alte Jacke von Alberto angezogen. Die Kleider waren ihm etwas zu weit und zu kurz, reichten aber zur Tarnung. Und mit der Coppola, die seine blonden Haare und die Stirnwunde bedeckte und dem schon sonnenverbrannten Gesicht Schatten spendete, musste er in den Augen eines Fremden wie ein auswärtiger Landarbeiter wirken, den die Familie Arcuri als Tagelöhner beschäftigte, wie es manchmal vorkam.
    Der Engländer erholte sich schnell, auch dank des guten Essens, das sie ihm von zu Hause mitbrachten. Er hinkte kaum mehr, die Wunden an Stirn und Schläfe waren vernarbt, das Knie frei von Schmerzen, und nach einer Woche bemühte er sich schon, Arturo bei der Feldarbeit zur Hand zu gehen. Offen gesagt sah man sofort, dass er in seinem Leben noch keine Hacke in der Hand gehalten hatte, doch er war jung, lernte rasch und drückte sich nie, wenn die schweren Olivensäcke auf den Schultern zu tragen waren. »Mino ist stark wie ein Maultier«, sagte Lina bewundernd.
    Die Arcuris hatten ihn Mino getauft, auf Anraten Michelangelos, damit niemandem der englische Namen herausrutschte und ihr Geheimnis offenbarte. Sie waren eine verschworene Familiengemeinschaft, die William-Mino schützend in ihren warmen Kokon einschloss wie einen Sohn, wie einen Bruder. Und er dankte es ihnen mit seinem klaglosen, nie erlahmenden Arbeitswillen, begrüßte die Arcuris jeden Morgen mit einem kräftigen Händedruck und verabschiedete sich abends mit einem ergriffenen »Danke«, dem ersten Wort, das er gelernt hatte. Dann verkroch er sich in die Casella.
    Wenn es dunkel wurde, zündete er die alte Öllampe an, die er gefunden hatte, als er mit Arturo einen Ablaufgraben für das Regenwasser ausgehoben hatte, und oft schrieb er seiner Familie lange Briefe, die natürlich niemals abgeschickt wurden: Zu leichte Beute für die Faschisten wären sie gewesen, mit dem realen Risiko, dass er entdeckt und erschossen würde und seine Beschützer obendrein ins Unglück stürzte.
    »Ich schreibe, um diese Tage für uns in Erinnerung zu halten, sonst verwehen sie mit dem Wind«, übersetzte Michelangelo Williams brüchiges Italienisch in verständliche Worte. Die Arcuris schätzten es sehr, dass er ihre Sprache lernen wollte, doch sie verstanden ihn nur teilweise, wegen seines starken englischen Akzents, mit dem er die italienischen Wörter aussprach. Im Lauf der Wochen waren Ninabella und Michelangelo zu seinen bevorzugten Gesprächspartnern geworden, denn von ihnen fühlte er sich verstanden und lernte er am meisten.
    Nach der Olivenernte, die bis Mitte Januar gedauert hatte, ging Arturo nur an trockenen Tagen auf den Rossarco, mit doppeltem Proviant, um ihn mit William zu teilen. Die ständige Präsenz der übrigen Familie hätte den Verdacht der Dorfbewohner erregt, da in den Wintermonaten kaum Arbeit auf den Feldern anfiel.
    »Wie geht es Mino? Was macht er so? Hat ihm die Salsiccia geschmeckt? Und die Sardinen mit dem frischen Brot? Und die gebratenen Paprika mit Zwiebeln und Kartoffeln von unserem Acker? Und der junge Wein? Was sagt Mino? Hat er wieder Wörter dazugelernt? Hast du ihm meine Grüße bestellt?«, bombardierte die Familie Arturo, und Ninabella errötete, wenn der Vater ihr Williams Grüße zurückbrachte und im Schnellverfahren alle Fragen beantwortete: »Es gehtihm gut, wie soll es ihm schon gehen? Er ist jung und gesund, isst mit Appetit, leckt sich immer die Finger ab und schuftet wie ein Verdammter. Ich bringe ihm bei, wie man hackt, die Reben stutzt, Bäume veredelt, klettert, und sogar Kartenspiele: Tressette, Scopa, Briscola und Solitär. Er lernt schnell, kluges Kerlchen, das er ist. An unseren Wein hingegen ist er nicht gewöhnt, wenn er zwei Finger davon trinkt, wird er puterrot, singt O sole mio auf Englisch und verspricht, dass er uns nach dem Krieg zu sich nach London einlädt, er hat

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