Der Hügel des Windes
Kanten der Saumpfade ansetzte, die Hänge hinabwogte und schließlich im Meer verglomm.
William war so glücklich, die ganze Familie Arcuri wiederzusehen, dass Ninabellas Vorschlag, ihn zu zeichnen, an jenem Tag in den Hintergrund rückte. Am nächsten Vormittag jedoch stimmte er gerne zu, wenn auch unter einer Bedingung: »Bitte sehr, Ninabella, du beeilen, okay?« Denn er wollte nicht tatenlos in der Sonne sitzen, während die anderen schufteten.
»Es braucht seine Zeit, Mino, sonst kommt nur Mist dabei heraus, verstehst du?«
»Was?«
»Ein Dreck eben«, hatte Ninabella geantwortet und ihn mit dem Rücken an den Stamm eines Feigenbaums platziert, hinter ihm das glitzernde Meeresbecken, zu seinen Füßen der rote Süßklee-Teppich und rundherum der Hang des Piloru.
Es war Michelangelo, der ihm derweil von der Ankunft Philoktetes’ auf dem Hügel erzählte, von der Gründung Krimisas auf ebenjenem meerseitigen Hang und von dem Baudes Tempels für Apollon Alaios fünfhundert Meter vom Strand entfernt, vor etwa 2500 Jahren zu Zeiten der Magna Graecia. Er lag auf dem Süßklee-Teppich zwischen William und Ninabella und sprach mit leiser, schmeichelnder Stimme, den Blick in den Himmel gerichtet.
William schien fasziniert von der Geschichte, er wusste nichts vom alten Griechenland, meinte er, die Augen starr auf die unermüdliche Ninabella und ihre gerunzelte Stirn gerichtet, und vielleicht verwechselte er 2500 Jahre mit 250 oder gar mit 25, verwirrt von Michelangelos Erzählung, die klang, als sei alles gestern gewesen. »Also, du sagst, hier unter unsere Füße es gibt alte city ?«, fragte William verblüfft.
»Nicht alt, sondern sehr alt, antik. Und das sage nicht ich, sondern der große italienische Archäologe, Professor Paolo Orsi, der genau hier zu graben begonnen hat. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen.« Also erzählte er von den Funden, den geplünderten Gräbern und dem kostbaren Münzschatz, den sie an Paolo Orsi verkauft hatten. Die beiden Skelette aber verschwieg er, denn er wollte dem Rossarco nicht seinen Zauber nehmen, und außerdem brannten die Worte des Professors noch immer wie glühende Kohlen in ihm, der den Hügel »eine Grabstätte blutiger Geheimnisse« genannt hatte.
»Und du glaubst wirklich diese Geschichten?«, fragte ihn William und versuchte, sich nicht zu bewegen.
Ich bin mir, mein lieber Mino, nicht so sicher, hätte er am liebsten entgegnet, doch ich hoffe es sehr, so sehr schon seit meiner Kindheit. Laut sagte er: »Ich glaube es und werde es immer glauben. Eines Tages werden wir das geheimnisvolle Krimisa finden. Nach dem Krieg werden die Ausgrabungen fortgesetzt ...«
Ninabella fiel das Malen unter Williams forschendem Blick schwer, der keine Sekunde von ihr abließ, während der Bruder Geschichten erzählte, die sie schon tausendmal gehört hatte, und die Familie ihr spähende Blicke zuwarf, um sich dann wieder der Arbeit zuzuwenden, als sei nichts gewesen. Zum Glück verstand es Ninabella, sich davon frei zu machen, sie fühlte sich allein auf einer roten Insel, allein und verloren in den verschiedenen Blautönen zwischen Meer und Himmel, zwischen Williams Augen und denen des Bildes, zwischen Realität und Geheimnis.
»Schau mich bitte nicht so an«, sagte sie zu den gemalten Augen. Der echte William lächelte und wandte langsam den Blick zum großen Olivenbaum.
Ninabella hielt ihn drei Tage lang in dieser Position fest, die Zeit, die sie brauchte, um das Porträt zu beenden. Dann verwandte sie zwei weitere Tage darauf, es zu verfeinern und den Hintergrund mit Schattierungen und Farbnuancen zu vervollständigen.
Das Gemälde stieß überall auf großes Lob. »Schön, sehr schön«, sagte William, und der Vater wiederholte stolz: »Meine Tochter ist eine hervorragende Malerin, eines Tages wird sie berühmt werden«, und der Bruder merkte an: »Das ist dein bestes Bild bisher.« Auch die Mutter pflichtete ihnen bei: »Stimmt genau«, sagte sie, ebenso wie die Großmutter: »Ganz genau«, und zum ersten Mal schien selbst Ninabella mit der eigenen Arbeit zufrieden zu sein, so dass sie es sogar ins Dorf tragen wollte, um es rahmen zu lassen und in ihrem Zimmer aufzuhängen, gegenüber vom Bett.
In eben diesen Apriltagen hatte das Warten auch in anderer Hinsicht ein Ende: Michelangelo wurde zur Schuldirektionnach Savelli bestellt. Er hatte gewusst, dass es so kommen würde, dennoch hatte er fast nie daran gedacht, ebenso wenig wie sein Vater. Beide schoben die
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