Der Hügel des Windes
Festtagsbluse im Stakkato ihres Atems. Sie sagte nichts, ihr fiel nichts ein, niemand wagte zu sprechen.
David lächelte, keineswegs überrascht von dem eisigen Schweigen: »Ihr müsst nicht sofort ja sagen. Wir erwarten Ninabella, wann sie will. Sie kann mit Bruder nach London kommen, als Gäste in unserem Haus, und dann entscheiden. Okay ?«
Schließlich antwortete die alte Sofia: »Mino war wie ein Sohn für uns. Ich glaube, er war dazu bestimmt, meine Enkelin zu heiraten, das sah man in den Augen der beiden. Jetzt ist es anders gekommen. Wenn du Geduld hast, mein Sohn, ist Ninabella selbst reif genug, um dir die rechte Antwort zu geben, wenn sie bereit dafür ist.«
Donna Lina lud ihn ein, bei ihnen zu übernachten, da es in Spillace kein Hotel gab. Und Michelangelo erbot sich, ihn bei der delikaten Angelegenheit der Leichenüberführung zu unterstützen, auch wenn David bereits alle notwendigen Papiere beisammenhatte.
Ninabella rührte sich nicht vom Tisch, auch nicht um der Mutter beim Abdecken zu helfen. Sie sagte nur mit gesenktem Blick »Danke«, als David ihr eines der Geschenke überreichte, die er der Familie Arcuri mitgebracht hatte: ein elegantes Hütchen mit kleinem Spitzenschleier.
Der Engländer blieb drei Tage als willkommener Gast im Hause Arcuri. Er war ein offener junger Mann, der in kürzester Zeit mit Sofia und Donna Lina vertraut wurde, die eine unübersehbare Schwäche für ihn hatten, und ebenso mit Michelangelound seinen Freunden. Nur Ninabella blieb ihm ein Rätsel. Er sah sie bei Tisch, als hätte sie sich seit ihrer ersten Begegnung nicht von dort fortbewegt. Kein Lächeln, kein Wort, keine freundliche Geste. Eher noch als kalt wirkte sie abwesend, mit den Gedanken woanders.
Am Tag seiner Abreise jedoch übergab Ninabella ihm zu aller Überraschung Williams Porträt. Sie hob den Blick von den verträumten Augen des Gemäldes zu den überraschten Augen Davids. »Das ist für eure Mutter«, sagte sie. Und sie schickte einen Kuss zum Sarg hinüber, der für die weite Rückreise nach London bereitstand.
29
Am 29. Oktober 1949 schoss auf dem Gut Fragalà bei Melissa, einen Steinwurf von Spillace entfernt, ein Carabinierikommando auf wehrlose Bauern und tötete drei von ihnen, zwei Männer und eine Frau. Ihre eigene Schuld? Sie hatten die brachliegenden Felder des Baron Berlingieri besetzt. Das Echo der Schüsse hallte rhythmisch und beängstigend bis ins Schulzimmer von Michelangelos vierter Klasse. Die Kinder ließen die Stifte sinken und stürzten mit ihrem Lehrer ans Fenster. In weniger als einer Stunde brauste die Nachricht von Hügel zu Hügel, von Mund zu Mund und erfasste die Piazza von Spillace wie ein gefürchteter, verheerender Orkan.
Michelangelo versuchte die Kinder zu beruhigen, deren Eltern in der Gegend unterwegs waren und Don Licos Felder besetzten: »Die Schüsse kamen aus Melissa, hier bei uns ist alles friedlich. Habt keine Angst, eure Eltern kehren gesund und unversehrt nach Hause zurück, heute Abend.«
Und doch stand er selbst, der Herr Lehrer Arcuri, dem Vorfall am hilflosesten gegenüber. Er kannte die getöteten Bauern nicht, in seiner Vorstellung aber hatten sie denselben stolzen Blick wie der Vater, für ihn waren sie Familie, Blut von seinem Blut.
Dieses Verbrechen sollte er niemals vergessen, und immer, wenn er von dem blutigen Unrecht an unserem Volk sprach,begann er bei den Ereignissen von Melissa und wurde nie müde, mir davon zu erzählen.
Als Umberto Zanotti-Bianco in Begleitung von Marisa Marengo und einem Fahrer nach Spillace kam, erkannte er in Michelangelos Augen sofort die mühevoll unterdrückte Wut und das Gefühl der Ohnmacht angesichts von Feinden, die ihm unbesiegbar erschienen, all diesen verfluchten Don Licos, gegen die der Vater gekämpft hatte: von der Geschichte verurteilte, besiegte und begrabene Harpyien, die anschließend unter neuem Namen, in neuem Gewand und mit neuen Gewalttaten wiederauferstanden.
Seit dem Massaker waren etwa drei Jahre vergangen, das Parlament hatte die Agrarreform gebilligt, Don Lico waren seine unbebauten Felder entzogen worden – insgesamt fast eintausendachthundert Hektar in fünf verschiedenen Kommunen –, während er die besten Flächen noch rechtzeitig unter seinen Söhnen und Enkeln aufgeteilt hatte, um sich dann für immer nach Catanzaro zurückzuziehen.
In Spillace waren die Bauern misstrauisch und enttäuscht, sie fühlten sich von den Politikern aller Couleur verraten, die nach den Toten von
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