Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Schilling-Scheinen gefüllt.  
    “ Das Honorar steht bereits jetzt in keiner Relation zu Ihrem Aufwand.” 
    “ Dann nehmen Sie jemand anderen.” 
    “ Ich habe ihnen bereits erklärt, dass das nicht geht. Sie nützen meine Notlage aus.” 
    In einer solchen steckte er in der Tat: Personalmangel. Alle Agenten unabkömmlich. Ich der Notnagel, an dem die Operation hing.  
    “ Ein Konzept, das Ihnen bekannt vorkommen sollte.” 
    Fleischer nickte bekümmert. “Zwanzig Prozent mehr. Wenn Sie das nicht annehmen, fahre ich selbst.”  
    Ich lächelte. “Geht doch.”  
     
     
    ***
     
     
    “Es sind doch nur ein paar Tage, dann bin ich wieder da.” 
    “ Bist Du verrückt? Die Buben haben Geburtstag! Was ist los mit Dir?”  
    Carolina hatte meinen Koffer vom Bett gedroschen, sein Inhalt hatte sich auf den Boden des Schlafzimmers verteilt. Benjamin und Johannes hatten sich aus dem Staub gemacht, saßen wahrscheinlich auf ihren Betten, die Kopfhörer ihrer Walkmans über die Ohren gestülpt, ihre Comics zwischen sich und der Welt hochgezogen.  
    Es war keine schöne Szene.  
    “ Ich weiß und es tut mir leid.” Ich ging auf sie zu, versuchte sie in die Arme zu nehmen. “Aber wenn alles gut geht, bin ich in ein paar Tagen wieder zurück und wir haben alle Zeit und alles Geld der Welt. Dann mache ich es wieder gut. Versprochen.” Sie stieß mich wuchtig zurück. “Was redest Du da? Welches Geld? Wohin fährst Du?” 
    “ Das kann ich Dir nicht sagen.” 
    Sie lachte mich aus. “Nicht sagen? Wieso? Weil es so sicherer für mich ist? Musst Du mich sonst erschießen? Que mierda!”  
     
     
    ***
     
     
    Die letzte Nacht, die ich in meinem Leben mit meiner Familie hätte sein können, verbrachte ich in einem Hotel. 
     
     
    ***
     
     
    Was ich für die paar Tage, die der Auftrag dauern sollte benötigte, kaufte ich am nächsten Tag hastig in einem Kaufhaus auf der Mariahilfer Straße ein: Feste Schuhe, Jeans, Socken, Unterwäsche, eine erdfarbene Regenjacke. Dazu Dinge, die ich mein Leben lang nicht benützt hatte, die mir aber in diesem Moment notwendig erschienen: Ein Taschenkompass. Ein Schweizer Armeemesser. Eine Geländekarte von Niederösterreich, von  der ich nicht einmal wusste, wie ich sie richtig halten sollte. Sorge bereitete mir auch der Moment, in dem ich sie, einmal benützt, wieder zusammenfalten würde müssen. Ich kaufte sie trotzdem. Hätte der Laden Armbanduhren mit ausziehbaren Strangulationsdrähten geführt, hätte ich diese ebenfalls erworben. 
    Das Klischee hatte mich fest im Griff.  
     
     
    ***
     
     
    Ich sprang an der verabredeten Stelle in den Golf. Grau-metallisé, vielleicht zehn Jahre alt. Das Innere roch nach nassem Hund. Der Fahrer grüßte nicht. Er fuhr, konzentriert, überschritt an keiner Stelle des Stadtgebiets die ausgewiesene Höchstgeschwindigkeit, vergaß kein einziges Mal zu blinken. Die Scheibenwischer hielten den Nieselregen in Schach. Kalte Luft wurde an die Innenseite der Frontscheibe geweht und prallte von dort aus auf mein Gesicht zurück. Ich war ausgekühlt und wünschte, ich hätte mir die Mütze gekauft, die ich im Kaufhaus kurz in Händen gehalten hatte. 
    “ Macht es Ihnen etwas aus, die Heizung aufzudrehen?” 
    Der Fahrer hielt seinen Blick auf die Straße gerichtet. “Ist besser so.”  
    Ich schlug den Kragen der Jacke hoch, vergrub mein Kinn darin, zog die Ärmel über meine Hände und verschränkte die Arme vor der Brust.  
     
     
    ***
     
     
    Kälte schürt Unbehagen. Alleine mit meinem Chauffeur in diesem eisigen, feuchten Auto, in das trübe, flachhügelige, grau-braune Grenzgebiet zur CSSR fahrend, überkamen mich Zweifel. Der Auftrag erschien plötzlich nicht mehr so unkompliziert, wie in der geheizten, trockenen und im Nachhinein fast heimelig anmutenden Beamtenstube meines Führungsoffiziers Fleischer: Hinein ins Auto, sich zum Treffpunkt bringen lassen, Überläufer auf die Rückbank winken, zurück nach Wien.  
    Ich blickte zum Seitenfenster hinaus. Eine Nebenstraße mitten im Nirgendwo. Das Land wirkte endlos.  
    “ Sind Sie sicher, dass wir richtig sind?” 
    Der Fahrer grunzte etwas Unverständliches.   
     
     
    ***
     
     
    Die Fahrt dauerte lange. Zu lange. 
    “ Sollten wir nicht schon längst da sein?” 
    “ Wo sein?” Es war das erste Mal, dass sich der Fahrer mir zuwandte. 
    “ Am Treffpunkt. Wo sonst?” 
    “ Kennen Sie den Treffpunkt?” 
    Es lag keine doppelte Bedeutung in der