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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Weitmayr
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„'Übel' im Sinne von: 'Es sieht schlecht aus? Für uns?“ 
    „ Nein, nein.“ Ungeduldig winkte der Auftraggeber ab. „'Übel', wie 'schlecht', wirklich schlecht...“ 
    „ Naja, das Gefängnis wurde vor gut vier Wochen verlassen...“ 
    „ Und?“ 
    „ Da kann es schon abgestanden riechen.“ 
    „ Abgestanden schon. Aber nicht nach Kot, Kotze und Urin. Das sollte inzwischen alles getrocknet sein.“ 
    „ Und was sie riechen, riecht …“ 
    „ ... frisch. Genau. Gehen wir.“ 
     
     
    ***
     
     
    Der Geruch war in der Tat um einiges eindringlicher, als dem Soldaten lieb war. Einige hundert Meter später, nachdem sie immer den Gang gewählt hatten, der am stärksten stank, war es so schlimm, dass er seinen Unterarm gegen die Nase drücken musste. Er atmete eine durch den Stoff der Jacke gefilterte Lunge voll Sauerstoff ein, hielt die Luft an und fragte gepresst: „Sind Sie sicher, dass wir hier richtig sind? Vielleicht ist das irgendein Tier, das in seinen Exkrementen verendet ist und jetzt verwest. Das würde ...“ 
    Der ältere Mann blieb unvermittelt stehen, drehte sich um die eigene Achse. Schnell war er, eigentlich zu schnell für jemanden, den man auf Mitte 50 schätzen musste. In der Hand hielt er eine im Lampenlicht bösartig funkelnde Pistole. Kleinkalibrig, aber tödlich genug.  
    „ Halt' die Klappe.“ 
    Der Soldat riss unwillkürlich die Arme hoch. „In Ordnung, in Ordn ...“  
    „ Ich meine es ernst. Ich habe Dich bezahlt, damit Du mich hier 'reinbringst. Und jetzt hälst Du die Klappe. Ist das klar?“ 
    „ Ja, klar. Klappe halten. Verstanden. Kein Problem. Selbstverständlich“ Er nickte eifrig. 
    „ In Ordnung.“ Er winkte den jüngeren Mann mit der Waffe an sich vorbei. „Du gehst vor.“ 
    „ Aber ...“ 
    „ Los jetzt.“ 
    „ In Ordnung.“
     
     
    ***
     
     
    Bemerkenswerterweise gewöhnte sich der Soldat relativ schnell an den Geruch, vielleicht traf ihn der Anblick deshalb so unvorbereitet.  
     
     
    ***
     
     
    Der Soldat sprang von der Zellentür zurück. Wortlos übergab er sich in den Gang. Dvorschak überließ ihn sich selbst, unternahm auch nichts, als er die Schritte des Flüchtenden hörte. „Das geht mich nichts an! Nichts! Regelt das doch selbst, Ihr Irren!“ 
    Dvorschaks Blick war auf Alexanders Körper gerichtet, der ausgemergelt auf dem Boden lag. Seine von Schwären übersäte Haut war leichenblass. Unter den Fetzen, die von seiner Gefängnisuniform übrig geblieben waren, konnte er Alexanders Rippen zählen. Überall lagen Exkremente. Ihrer Beschaffenheit nach war Alexander extrem dehydriert, ihr Ausscheiden musste enorme Schmerzen verursacht habe. Er leuchtete Alexander ins Gesicht. Die Augenlider waren so gut wie transparent. Dvorschak konnte die erratischen Bewegungen der Augäpfel ausmachen.   
    Er lebte.   
    Gut.   
    Dvorschak betrat die Nachbarzelle. Er zog ein Bett ab. Ein Leintuch und eine Decke legte er auf den Gang. Dann betrat er den verwahrlosten Raum, in dem Alexander lag. Er bückte sich, holte trotz des Gestankes tief Luft, konzentrierte sich auf die vermeintliche Kraftanstrengung und war verblüfft, wie leicht der Körper des Gefangenen war. Alexander wachte weder auf, als er hochgehoben wurde, noch als ihn Dvorschak auf die Decke legte und einwickelte.   
    Das Verlassen des Gefängnisses gestaltete sich schwierig. Obwohl Alexander kaum mehr als 40 Kilo wiegen konnte, musste ihn Dvorschak immer wieder absetzen. Die Taschenlampe war schwer zu halten. Die körperliche Anstrengung ließ ihn die Konzentration auf den Weg verlieren. Er nahm nicht nur ein Mal die falsche Abzweigung.   
    Das langsam hereinbrechende Tageslicht half schließlich.   
    Irgendwann trat er hinaus.   
    In einen neuen Morgen.   
    „ Alles wird gut“, flüsterte er. „Jetzt wird alles gut.“  
    Der Mann in seinen Armen hörte von all dem nichts.

1989
     
     
    Er kam nur langsam zurück. Sein Selbst blieb die längste Zeit auf eine nackte, zittrige Essenz reduziert. Vielleicht sogar auf etwas weniger. Kein Raum für Gedanken, für Erinnerungen, für Gefühle. In gewisser Weise ein Idealzustand.   
    Dann ein Satz, von außen: „Wollen Sie denn Ihre Familie nicht sehen?“   
    Etwas kratzte an der Oberfläche seines Bewusstseins, war da, wie ein Kieselstein, der in eine Socke gerutscht war.   
    Unangenehm, aber klein genug um ihn zu ignorieren.   
    Doch Dvorschak war nicht gekommen, um aufzugeben. Er hatte zu

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