Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
er sich überhaupt zurück in die Hauptstadt gewagt hatte, noch erstaunlicher, dass er offensichtlich noch an Merowech hing. Dieser hatte also doch nicht alle Verbündeten verloren. Leider war ihnen der Mann entwischt, der referendarius hatte den Vorfall zu spät gemeldet.
Fredegund hatte Chilperich eindringlich vor solchen Vorkommnissen gewarnt, in der Hoffnung, dass er mit seinem Sohn diesmal kurzen Prozess machte. Aber er weigerte sich strikt. Eine solche Tat, ging ihr erst nach und nach auf, beschädigte gewissermaßen den magischen Schutz, unter dem er selbst stand. Achtete er das königliche Blut seines Sohns gering, wäre das ein Zeichen für seine Gegner, dass auch sein eigenes nicht mehr heilig wäre. Immerhin hatte er Merowech eine Tonsur scheren und zum Priester weihen lassen, sobald man ihn nach Paris gebracht hatte. Es war genau die Strafe, die er ihm bereits früher angedroht hatte.
„Du lässt ihn doch nicht hier, wo er so viele Freunde und Verbündete hat, oder? Hier musst du immer damit rechnen, dass dir einer von ihnen oder sogar er selbst einen Dolch in den Rücken stößt“, hatte Fredegund zu bedenken gegeben.
„Nicht Merowech“, hatte Chilperich abgewunken, „so hinterhältig ist er nicht. Er ist nur ein unverbesserlicher Dummkopf, sonst nichts. Nein, er bleibt nicht hier. Ich schicke ihn ins Kloster nach Le Mans. Bertram wird die Verantwortung für ihn übernehmen, ich vertraue ihm.“
Bertram also, das trifft sich gut, dachte Fredegund und überlegte, ob sich ihr Liebesverhältnis mit dem Bischof von Le Mans dazu ausnutzen ließ, ihn zum Mord an seinem Schützling zu bewegen. Denn Merowech musste beseitigt werden, daran gab es für sie keinen Zweifel. Anders als Chilperich beurteilte sie seine älteren Söhne viel zutreffender und klarer: Beide warteten nur auf eine Gelegenheit, dem Vater die Macht zu entreißen.
Fredegund sah, wie der Händler, ein Pferdegeschirr über den Arm gelegt, mit einem der Knechte in Richtung der Ställe davonging. Im Stallhof herrschte immer Betrieb, er zog vor allem Männer magisch an, die gern dort herumsaßen, unter einer der großen Linden kühles Bier tranken und sich über eins der drei Themen austauschten, die sie alle beherrschten: Krieg, Pferde und Frauen. Kurz bevor der Mann ihrem Blick entschwand, überkam sie wieder das seltsame Gefühl, dass etwas an ihm nicht stimmte und dass - eine noch befremdlichere Eingebung - sie ihn schon einmal gesehen hatte.
Gott ja, sie kannte ihn!
Das Wichtigste hatte Wittiges von einer blutjungen Magd erfahren, der neuen Geliebte von Chilperichs ältestem Sohn Chlodowech, die sich nicht wenig auf ihre intimen Kenntnisse der Familienangelegenheiten einbildete. Merowech lebte, und er war in ein Kloster in Le Mans verbannt worden.
Mehr brauchte Wittiges nicht zu wissen, nun musste er nur noch heil die Stadt verlassen. Aber erst hatte er mit dem Käufer eines Pferdegeschirrs einen Becher sauren Wein zu leeren, um den Handel zu besiegeln, danach trieb ihn ein dringendes Bedürfnis in einen stillen Winkel hinter dem Stall. Hier stand ein hoher, dürrer Baum, der seine Äste über die Mauer neigte, die den ganzen Palastbezirk umzog. Wahrscheinlich gedieh der Baum nicht ordentlich, weil hier jeder pisste. Es stank derartig, dass sich Wittiges die Nase zugehalten hätte, wäre er nicht beidhändig beschäftigt gewesen. Mit der einen Hand hielt er die Tunika hoch.
„Ich hab ihn größer in Erinnerung“, bemerkte eine spöttische Stimme hinter ihm.
Zusammenzuckend pinkelte sich Wittiges auf die Schuhe, beendete dann aber ruhig sein Geschäft und brachte seine Kleidung in Ordnung.
„Immer noch so offenherzig wie früher“, murmelte er und wandte sich um.
Fredegund war allein, zumindest entdeckte er hinter ihr keinen Krieger, vermutete aber, dass sich zwei oder drei in Rufnähe vor dem Stallgebäude aufhielten. Sie war schließlich keine Närrin.
„Und du bist auf den Hund gekommen“, stellte sie fest. „Verdienst du nach der letzten Niederlage dein Brot als Hausierer? Ich hab dich mit deinem Klapperkarren im Hof beobachtet.“
„Man muss schauen, wie man zurechtkommt“, erwiderte Wittiges gleichmütig.
„Oder kann es sich Brunichild nicht mehr leisten, ihre Spione anständig zu entlohnen?“
Damit waren sie also beim Thema, sie wusste, warum er in Verkleidung hier herumschlich.
Er schwieg.
„Was willst du wissen? Darf ich dir mit Informationen behilflich sein, damit du rascher von hier verschwinden
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