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Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman

Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman

Titel: Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Maaser
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begreifen, dass es sein Los war, bei lebendigem Leib zu verfaulen, und er überlegte, ob es nicht besser wäre, auf jegliche Nahrung und das ungenießbare Wasser zu verzichten, um den Prozess abzukürzen.
    Eines Morgens fielen die Eisenschellen, mit denen er gefesselt war, einfach auseinander, als er sich beim Aufwachen bewegte. Er spürte eine sachte Erleichterung und rieb sich die aufgeschundenen Handgelenke, während er wie irre lachte. In welcher Stellung wollte er sterben? Jetzt konnte er es sich aussuchen. Kichernd krümmte er sich zusammen, streckte sich wieder, erhob sich auf die Knie und kroch langsam, unendlich langsam vorwärts. Sein Ziel war die Wand neben der Tür, wo eine Fackel brannte. Es kam nur ab und zu vor, dass ihm die Kerkerknechte ein Licht daließen, heute war anscheinend so ein Gnadentag. Durch die Tür zog es mächtig herein. Neugierig kroch er näher, stupste sie an und sah sie aufschwingen. Der Gang vor der Tür war menschenleer.
    Dem Gefühl nach brauchte er mindestens eine Stunde, um das Ende des Gangs zu erreichen, wo er sich aufrichtete, und noch einmal so lange, um sich Stufe für Stufe die Wand entlang, die Treppe hinaufzuschleppen. Zum bewussten Denken fehlte ihm die Kraft. Er vermochte sich lediglich auf die nächste Bewegung zu konzentrieren, das war anstrengend und verwirrend genug. Zwischendurch meinte er immer wieder zu träumen. Im Erdgeschoss fand er eine schmale, quietschende Pforte, die ins Freie führte. Niemand war ihm entgegengetreten und hatte ihn aufgehalten. Es musste ein Traum sein!
    Mit benebelten Sinnen ließ er sich auf die ausgetretene Schwelle sinken. Draußen herrschte Dämmerung, ob es der beginnende Morgen oder Abend war, wusste er nicht. Er genoss nur vorsichtig die reine, wenn auch schneidend kalte Luft.
    Seiner Einschätzung nach befand er sich am Ende eines Nebentrakts, der an die Umfassungsmauer angebaut war. Von hier konnte es nicht weit zu den Küchen, Wirtschaftshöfen und Ställen sein,  und dennoch unerreichbar für seine geschwächten Glieder. Er vermochte nicht klar zu sehen, alles verschwamm ihm vor den Augen, und so war auch die Gestalt, die langsam auf ihn zukam, zuerst nicht mehr als ein Schemen.
    Mach’s bloß kurz und richtig, dachte er.
    „Jetzt sitzen die Bettler schon hier auf der Schwelle. He, pack dich!“
    Wittiges stieg der süßliche Geruch frischer Milch in die Nase, und ihm schwindelte noch stärker, als es ohnehin der Fall war. Vor sich erahnte er eine Magd mit einem Holzeimer.
    „Bitte!“, röchelte er.
    Die Milchmagd stieß ihn mit dem Fuß an. Haltlos rollte er die Stufen hinunter und blieb liegen, während er ihren Aufschrei hörte. Wenig später wurde er vorsichtig aufgerichtet, und große graue Augen sahen ihn an.
    „Was ist das?“ Ihr Finger glitt sacht über seine Wange, aber er stöhnte auf, denn sie berührte eine der vielen schmerzenden Stellen, die sicher blau verfärbt und schorfig waren. Angst und Mitleid leuchteten in ihrem Blick auf, aber ebenso Abscheu. Sie rückte von ihm ab.
    „Bitte, Milch!“
    Er schloss vor Verlangen die Augen, hörte, wie sie mit ihrem Eimer hantierte, und konnte es kaum fassen, als sie ihm den hölzernen Rand an die Lippen hielt. Eine schreckliche Gier überkam ihn. Er packte mit beiden Händen den Eimer und schlürfte in langen Zügen die Milch, die ihm seitlich übers Kinn lief, bis ihm die Magd den Kübel entriss.
    „Mehr, mehr!“, wimmerte er.
    „Du hast genug. Und jetzt hau ab!“, schimpfte sie angewidert und verließ ihn.
    Vielleicht war es gut, dass sie ihm nicht mehr gegeben hatte, denn nun überkam ihn Brechreiz. Die Hand auf den Mund gepresst, setzte er seinen Weg fort und schaffte es mit Mühe, die Milch bei sich zu behalten. Inzwischen überzog ein fahles Grau den Himmel. Wintergrau, stellte er überrascht fest. Die Kälte roch nach Schnee. Natürlich gab es Wachen in diesem Teil des Palasts, aber wenn ihn die Magd für einen Bettler hielt, würden es vielleicht auch andere tun. Gebeugt schlich er an den Mauern entlang, ständig lauschend. Nur selten hob er den Kopf, um sich zu orientieren, und schlurfte schließlich in den Stall, wo die Frühaufsteher unter den Knechten gerade die Morgenarbeit aufnahmen.
    „Raus, los, los, raus hier!“ Ein Knecht packte ihn am Arm und stieß ihn auf die Tür zu. Wittiges zog den Kopf tiefer zwischen die Schultern und torkelte durch den Gang zwischen den niedrigen Holzverschlägen, in denen meist mehrere Tiere untergebracht waren.

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