Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
sich. Die Wunde war inzwischen recht gut verheilt, und die Schmerzen hatten merklich nachgelassen. Allmählich kam er mit diesem halben Arm zurecht, nur wenn Violas Blick zu lange darauf ruhte, brach ihm der Schweiß aus. In ihrer Nähe überfielen ihn Befangenheit, eine seltsame Scheu und manchmal Wut. Wahrscheinlich ahnte sie das, denn sie ging ihm mehr oder weniger aus dem Weg. Auf ihre Bitte hin hatte er ihr einen ganzen Flügel der Villa überlassen. Von Zeit zu Zeit erschien sie zu den Mahlzeiten, und sie hatte wieder die Leitung der Werkstatt übernommen. Was immer er sich früher in seiner Fantasie mit ihr ausgemalt hatte, schien nie Wirklichkeit zu werden. Er respektierte ihre Zurückhaltung, sie verursachte ihm nur gelinde Bitterkeit, denn richtige Verbitterung wollte er nicht mehr aufkommen lassen. Viola gegenüber hatte er keine Rechte und sie ihm gegenüber keine Pflichten, alles, was er sich erhoffen durfte, war Freundschaft. Darüber brauchte er sich nun keine Gedanken mehr zu machen. Samur wollte ihm alle Sorgen um die Zukunft abnehmen.
„Ich stehe lieber“, antwortete Samur und blickte auf die Weide hinaus, auf der sich in der Abenddämmerung die Herde der Falben tummelte, die inzwischen etwa zwanzig Tiere umfasste.
„Also, wer ist Cotani?“, fragte Wittiges, obwohl er die Antwort ahnte.
„Wer war sie, solltest du fragen, denn sie ist tot. Ich spreche von der Awarin, der die Kehle durchgeschnitten wurde, weil du mit ihr geschlafen hattest. Sie gehörte mir. Du erinnerst dich an sie?“
Wittiges schwieg einen Moment. Allmählich schwante ihm, worauf Samur anspielte.
„Merkwürdig, sie war noch Jungfrau.“
Samur machte eine Bewegung, als wollte er ihm endlich das Messer an die Kehle setzen, aber er beherrschte sich. „Sie war mir versprochen, und sie wollte mich. Aber mein Vater beanspruchte sie auf einmal für sich selbst. Und sie verweigerte sich ihm.“ Samur sprach nun fast akzentfrei Fränkisch.
Eine alte Geschichte, die für Wittiges inzwischen in weite Ferne gerückt war. Er hatte längst seinen Frieden mit sich selbst gemacht und war erstaunt, dass ihn die Vergangenheit doch noch einholte und eine letzte Rechnung präsentierte.
„Und deshalb hat er sie mir zugeschoben. Warum erzählst du mir die Geschichte erst heute? Das alles ist Jahre her, und jetzt willst du mich dafür umbringen?“
„Du verstehst es nicht, weil sie dir nichts bedeutet hat. Ich wollte dich sofort töten, aber dann fragte ich mich, wer du warst und begriff, dass dir dein Leben wenig wert war. Ich wollte dich aber töten, wenn dir der Tod etwas ausmachte. Erst hast du unter dem Verschwinden deines Sohnes gelitten, dann, als ich annahm, du bist darüber hinweg, starb deine Frau. Immer wenn ich dachte, nun ist es soweit, hat dich wieder ein neuer Schicksalsschlag getroffen.“
Wittiges begann zu lachen. Er musste sich die Seite vor Lachen halten, so sehr schüttelte es ihn.
„Also hat mich mein Unglück vor deiner Rache bewahrt?“, stieß er hervor, als er endlich wieder sprechen konnte. „Das ist der größte Witz, den ich je gehört habe. Und was ist nun? Ich bin ein Krüppel, und mein Sohn Felix ist wieder verschwunden. Hast du das nicht gewusst?“ Tausendfach hatte er für diese eine Verfehlung gebüßt, Samur hatte ja keine Ahnung, wie er jahrelang die Schuld mit sich herumgetragen hatte. Und das Schicksal hatte ihn wahrhaft leiden lassen. Das galt immer noch.
„Du hast zwei gesunde Kinder und die schönste Frau der Welt an deiner Seite. Königin Brunichild war so freundlich, mich darauf hinzuweisen. Ich hab mich bei ihr nach dir erkundigt. Sie sagte, du musst glücklich sein, da du nichts mehr von dir hören lässt.“
„Ich erinnere mich gerade an die Nacht nach der Beerdigung Cotanis. Ich hatte mein Lieblingspferd opfern müssen und saß im Dunkeln auf dem Grabhügel. Ich wurde überfallen. Genau wie jetzt war ich unbewaffnet und hatte keine Chance zu entkommen. Aber jemand kam mir zu Hilfe. Warst du das?“
„Kursich hatte dich überfallen, aber das stand ihm nicht zu. Ja, ich hab dich vor ihm gerettet. Später hängte ich ihn an der Mauer des Kastells Boiotro auf. Glaub mir, er hatte es verdient. Er hatte meinem Vater vorgeschlagen, dir Cotani zu schicken, denn er war selbst in sie verliebt. Der Dummkopf hatte geglaubt, sie würde ihm zufallen, nachdem du sie gehabt hast. Aber es kam alles anders. Mein Vater befahl, sie zu töten. Nun weißt du alles. Deine Zeit ist abgelaufen. Bist du
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