Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
wollte?, fragte sich Brunichild nicht zum ersten Mal.
Ja, natürlich.
Noch unklar war allerdings, durch wen und wie Chilperich zu Tode gekommen war, aber die Details kümmerten sie nicht sonderlich. Es war sowohl von Gift wie von einem Dolchattentat die Rede, das an Sigiberts Ermordung erinnerte. Letzten Endes war es unwichtig, wer die Tat begangen hatte. Ohne die von Austrasien ausgehende Unterwanderung des neustrischen Rats wäre sie kaum möglich gewesen. Chilperich hatte nur noch wenig Rückhalt gehabt, letztlich hatten ihn seine eigenen Anhänger im Stich gelassen.
Prominentester Verräter war Desirius, sein ehemalige patricius , der inzwischen offen übergelaufen war. Gleich nachdem er vom Tod des Königs erfahren hatte, hatte er dessen Tochter Rigunth kurz vor der Grenze zu Spanien abgefangen - samt ihrem Brautschatz, den er Brunichild als Antrittgeschenk mitgebracht hatte. Rigunth, hieß es, habe er eigenhändig getötet. Daran mochte Brunichild nicht denken, weil es sie an ihre Tochter erinnerte. Ingund hatte mit ihrem kleinen Sohn die oströmische Exklave in Spanien erreicht, aber Hermenegild war bei der Einnahme von Sevilla gefallen.
Lieber dachte Brunichild an Fredegund. An die Frau, die nun alles durchmachen musste, was sie durchgemacht hatte: ein Schattendasein als Witwe und Mutter eines unmündigen Kindes, dem jederzeit der Tod durch ein Attentat drohte. Nein, so verlassen wie Fredegund war sie nie gewesen.
Der secretarius kam noch einmal herein.
„Ja?“
„Samur wartet noch immer, er lässt fragen, wann du Zeit für ihn hast.“
Samur? Der awarische Botschafter! Brunichild wollte niemanden sehen. Der Aware war unwichtig, der Kaghan war unwichtig. Die Neuordnung der Macht in den fränkischen Reichen stand an, da hatte sie keine Zeit für die Barbaren in den Randgebieten.
„Er soll morgen wiederkommen. Wenn dux Lupus aus Metz eintrifft, dann verabschieden wir ihn gemeinsam. Wieso überhaupt ein offizieller Abschied?“
„Samur wünscht, in seine Heimat zurückzukehren, für immer.“
„Dann soll er das in Gottes Namen tun.“ Brunichild entließ den secretarius und gab Anweisung, dass niemand mehr vorgelassen wurde. Sie versank wieder in ihre Grübeleien.
Nun würde sie die fünf Städte aus Gailswinthas Morgengabe, die Guntram als Wehrgeld festgesetzt hatte, endlich erhalten und damit würde sich der letzte Teil ihrer Rache vollenden.
Eine Erinnerung streifte sie. Die Prophezeiung dieses seltsamen Höhlenheiligen, der in einer Weihnachtsnacht auf Wittiges Gut aufgetaucht war. Was Chilperich betraf, war sie in Erfüllung gegangen. Aber dieser Mann hatte auch ihr ein schlimmes Ende vorhergesagt. Wie sicher waren solche Prophezeiungen? Bisher hatte sie sie nicht sonderlich ernst genommen, dennoch ... Ein plötzlicher Schauder ließ das Triumphgefühl schwinden, und eine Ahnung überkam sie, dass das Schicksal auch mit ihr noch eine Rechnung offen hatte.
Wittiges saß allein in der Abenddämmerung am Weidezaun im Gras und beobachtete die Pferde. Da trat jemand von hinten an ihn heran, vermutlich ein Diener, der ihn zum Essen holten sollte. Aber als er angesprochen wurde, erwies sich seine Annahme als Irrtum.
„Sie hieß Cotani.“
„Was?“
„Sie hieß Cotani, du hast mich vor Jahren nach ihrem Namen gefragt.“
Wittiges begriff immer noch nicht, von wem die Rede war, aber die Gestalt neben ihm erkannte er. Es war Samur, der Aware.
„Willst du mir wieder die Pferde bringen?“
„Diesmal nicht. Diesmal bin ich gekommen, um dich zu töten.“
Nachlässigerweise war Wittiges unbewaffnet. Allerdings hatte er noch nicht wieder versucht, mit einer Waffe zurechtzukommen. Er scheute sich geradezu davor, ein Schwert in die Hand zu nehmen.
So nahe beim Haus hatte er nicht mit Gefahren gerechnet, ein Fehler, wie er seltsam nüchtern erkannte.
„Jetzt gleich? Ich bin unbewaffnet.“
Samur zog einen Dolch aus der Scheide, die in seinem Gürtel steckte. „Jetzt gleich. Aber vorher sollst du den Grund erfahren.“
Wittiges wusste nicht, ob er tatsächlich Angst hatte, oder ob er alles nur träumte. „Sehr freundlich von dir, mich vorher noch mit Erklärungen zu versorgen. Meinst du, dadurch fällt mir das Sterben leichter?“
„Ich hoffe es“, antwortete Samur ernst. Er machte gar nicht den Eindruck eines Meuchelmörders. Entspannt stand er neben ihm und sah auf ihn herab.
„Willst du dich nicht setzen? Dann spricht es sich leichter.“ Wittiges deutete mit dem Armstumpf neben
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