Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
anstrahlte, ließ der Druck in seinem Innern ein wenig nach.
„Dir ist doch nichts geschehen, nicht wahr? Und die anderen, sind sie alle mit dir heimgekehrt?“, stieß sie atemlos hervor.
Pontus wollte sich unauffällig zurückziehen, aber Wittiges hielt ihn an der Kutte fest. „Bleib.“ Pontus gehörte zur Familie, es war nicht nötig, dass er sie allein ließ. Und da war noch eine junge Frau, die hinter Aletha hereingekommen war und ein kleines Kind auf dem Arm trug.
„Viola!“ Jetzt erst nahm er sie richtig wahr. Den Namen hatte er ihr gegeben, vor elf Jahren, als sie eine rotznasige, etwa fünfjährige Göre mit auffallenden tiefblauen Augen gewesen war, eine kleine Waise, die von ihrer Großmutter, der Dorfhexe, aufgezogen wurde. Inzwischen war aus dem Kind eine strahlend schöne junge Frau geworden.
„Mit dir habe ich nicht gerechnet.“
„Was für eine freundliche Begrüßung, also wirklich“, entgegnete Viola spöttisch.
„Und wo stecken Alexander und Cniva? Sind sie auch mitgekommen?“, fragte Wittiges.
Aletha schüttelte den Kopf. Alexander war ihr Bruder, der mit Cniva zusammen Theodos Hof bewirtschaftete, ein von Wittiges’ übertragenes Lehen. Das Anwesen trug noch immer den Namen eines Vorbesitzers, der aus dem Krieg nicht heimgekehrt war. Cniva war früher Hofmeister des Frauenhauses in der Residenz des westgotischen Königs Athanagild in Toledo gewesen. Er kannte Aletha und Alexander von Kindesbeinen an und hatte sich nach seinem Abschied vom Hofamt bei ihnen niedergelassen. Da er keine Angehörigen hatte, hatte er sich vor Jahren der kleinen Viola angenommen, ihre Freiheit erwirkt, sie adoptiert und großgezogen. Obwohl er sich alle erdenkliche Mühe gegeben hatte, aus ihr eine Dame zu machen, war ihm dies nur teilweise gelungen. Wann immer es ihr passte, kehrte sie das freche, aufsässige Gör von früher hervor, das nun, gepaart mit der sinnlichen Ausstrahlung einer erwachsenen jungen Frau, eine betörende Mischung ergab. Wittiges war einigermaßen geübt darin, sie nicht zu stark auf sich wirken zu lassen.
„Wieso fragst du nach den beiden“, mischte sich Viola ein, „statt endlich deine Tochter zu begrüßen?“
Weil ich mich kaum traue, sie anzufassen, dachte Wittiges, streckte aber nun die Hand aus und strich über das seidenweiche Haar des Kindes. Agnes hatte kurze hellbraune Locken, ein Grübchen im Kinn und die blauen Augen ihres Vaters. Ein niedliches Kind, das dem großen Bruder Felix wenig ähnelte. Wittiges hatte seine Tochter im letzten Jahr so wenig gesehen, dass er ihr weitgehend fremd war. Verschreckt von der Berührung, verzog sie das Gesichtchen und barg ihren Kopf an Violas Schulter.
„Da siehst du’s. Sie kennt mich nicht“, murmelte er.
„Hoffentlich bleibst du diesmal lange genug, damit sich das ändert“, sagte Viola forsch und lächelte ihn verschmitzt an.
Zur Feier der Heimkehr setzten sich alle zusammen im großen Speisesaal zum Abendessen nieder. Draußen dämmerte die Sommernacht herein, Grillen zirpten, und eine Nachtigall sang. Eine weiche, aromatische Brise ließ die halb durchsichtigen Vorhänge wehen, die die Türen zum Innenhof mit den kostbaren Marmorsäulen, dem Wasserbecken und den duftenden Rosensträuchern ersetzten. Aletha hatte sich umgezogen und trug nun eine Sommertunika aus raffiniert gerafften Seidenbahnen, die die Schultern und das makellose Dekolleté weitgehend frei ließ, sowie lange glitzernde Ohrgehänge, die den schlanken Hals zur Geltung brachten. Wittiges hatte gebadet und sich ebenfalls umgekleidet. Den ganzen Abend über glitt sein Blick auffallend häufig zu der schönen Frau, mit der er nun schon so lange verheiratet war. Immer wieder schauten sie sich an, und je weiter der Abend voranschritt, desto mehr nahm das Verlangen zu, in die lang entbehrte Intimität zu sinken, die alle anderen ausschloss.
Viola versuchte nach Kräften, Wittiges’ Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, es war ein Spiel, das sie schon länger mit ihm trieb, und dem er größtenteils und auch an diesem Abend mit Humor begegnete. Es wurde höchste Zeit, dass der alte Cniva für diese temperamentvolle, verführerische junge Frau einen passenden Ehemann fand.
Als Wittiges sich endlich mit Aletha in das geräumige Schlafgemach zurückzog, überfiel ihn eine seltsame Hemmung. Er ließ sich auf einen Schemel sinken und sah ihr beim Auskleiden zu. Noch vor wenigen Monaten, genau genommen vor der Reise, hätte er sich nicht so passiv verhalten.
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