Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
er es in geschlossenen Räumen kaum aus.
„Ja, geh nur und überlass mir alle Sorgen“, bemerkte Pontus gallig, „wenn es dich denn nicht kümmert, wie viele Fremde hier auftauchen, seit dieser Wahnsinnige die Leute verrückt macht.“
„Fremde?“ Wittiges war stehen geblieben. „Was für Fremde? Sind sie bewaffnet?“
Pontus verdrehte die Augen. „Ist das alles, was du wissen willst? Ich sorge mich um das Seelenheil der Menschen und du fragst, ob sie Waffen tragen.“ Pontus hatte nie den Wunsch zu heiraten geäußert, und über ihn waren auch keine Weibergeschichten in Umlauf. Beides sprach dafür, dass er früher tatsächlich ein Mönchsgelübte abgelegt hatte. Ansonsten verhielt er sich eher weltlich und hielt nicht allzu viel von Askese. Er aß und trank gern, liebte sein weiches Bett und machte sich nur deshalb nichts aus kostbarer Kleidung, weil es sich darin unbehaglich fühlte. „Sie kommen aus allen Himmelsrichtungen, seit unser Heiliger ein paar Wunder gewirkt hat.“
„Was für Wunder?“
„Die üblichen. Wenn ein Mann wider Erwarten von einer schweren Krankheit genesen ist, gilt es als Wunder, das der angebliche Heilige herbeigebetet hat. Und wenn ein brennendes Strohdach durch einen heftigen Regenguss gerettet wird, ist das auch ein durch ihn bewirktes Wunder. Und so weiter, du kennst das.“
„Nur von dir“, warf Wittiges ein.
„Ich halte damit die Leute leichter unter meiner Fuchtel, daran ist nichts Schlimmes“, entgegnete Pontus pikiert.
Also doch Eifersucht, dachte Wittiges. „Geschenke?“
„Der Mann kann gut davon leben. Die Kunde seines Erfolgs ist bereits bis zum Bischof von Reims gedrungen. Sobald er von der Synode in Paris zurück ist, wird er sich mit unserem Heiligen befassen.“
Und auch dir auf die Finger schauen, mutmaßte Wittiges, der sich immer weniger für die Angelegenheit interessierte. „Dann haben wir ja noch Zeit.“ Er machte einen Schritt auf die Tür zu. „Und wo kommen die vielen Fremden unter?“
„Einige hat Cniva beherbergt, hab ich gehört.“
Wittiges wandte sich um. Jetzt bekam der Fall eine andere Bedeutung. Harmlose Pilger waren eine Sache, Fremde, die bei Cniva auf Theodos Hof Quartier bezogen, eine andere. „Kommt das oft vor?“, fragte er leichthin. Cniva war zu Zeiten des alten burgundischen Königshauses General gewesen. Als die Burgunder in einer letzten Schlacht von den Franken endgültig besiegt wurden, geriet Cniva in Gefangenschaft und wurde entmannt, eine durchaus übliche Strafe für hartnäckigen Widerstand. Es war ein Wunder, dass man ihn überhaupt am Leben ließ. Aber es gelang ihm zu fliehen und außerdem zwei Kinder zu retten, die letzten Abkömmlinge des alten Königshauses, und sie nach Spanien zu bringen. Aber dort wurden er und die Kinder in Geiselhaft genommen. Diese Kinder, die keine Geschwister waren, sondern Cousin und Cousine, heirateten heimlich und bekamen eine Tochter und einen Sohn: Wittiges’ Frau Aletha und ihren Bruder Alexander. Cniva stieg zum Hofmeister des Frauenhauses auf und konnte so über die beiden wachen, aber nicht verhindern, dass sie nach dem frühen Tod der Eltern zu Sklaven erklärt wurden. Alexander wurde sogar entmannt, um sicherzustellen, dass er niemals einen Herrschaftsanspruch stellen konnte. Er war Eunuch, genau wie Cniva. Aber wie man es auch drehte und wendete, Alexanders und Alethas Abstammung ging in direkter Linie auf das alte burgundische Königshaus zurück. Und der ehemalige General Cniva hing, wie Wittiges nur zu gut wusste, immer noch gefährlichen Träumen nach.
Wittiges überlief es kalt. Er mochte Cniva, traute ihm aber nie ganz.
Pontus verzog das Gesicht. Ihm konnte Wittiges nichts vormachen, der Freund ahnte nur zu gut, in welche Richtung seine Gedanken schweiften. „Oft genug, und niemand weiß, woher diese Leute kamen. Ich habe Alexander gefragt, aber er hat auch nur etwas von Pilgern erzählt. Zwei dieser Pilger hab ich gesehen, sie waren etwas zu gut gekleidet und bewaffnet und ritten ausgesprochen wertvolle Pferde. Die meisten Pilger kommen zu Fuß und kampieren an der Quelle oben im Wald. Ich hätte nichts dagegen, wenn sie nicht an unserer Wasserleitung herumfummeln würden. Erst letzte Woche hatten wir wieder kein Wasser.“
„Dann muss ich wohl mit Cniva reden“, sagte Wittiges langsam.
„Wegen des Wassers? Was hat er damit zu tun?“
„Sei nicht blöd.“
„Cniva ist auf Pilgerreise“, erklärte Pontus langsam, „vier oder fünf Tage,
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