Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
inständig, dass sich der Junge nicht verriet und seinen Unmut, den sie unschwer erahnte, in Zaum hielt. Welcher Elfjährige ertrug es denn, für sieben gehalten zu werden? Hatte man ihm die Sache vielleicht doch nicht eindringlich genug erklärt?
„Der Tod seines Vaters hat ihn schneller reifen lassen.“
Schlagartig wurde Guntram ernst. Von eher schmächtiger Statur, war er in den letzten Jahren etwas fülliger und sein Haar schütterer geworden, aber er war von den Brüdern der freundlichste, der sich am meisten um Ausgleich, Frieden und Gerechtigkeit bemühte. Brunichild mochte ihn. Nun legte er ihr einen Arm um die Schultern. „Du und ich, wir haben viel Leid zu tragen. Mir sind alle meine Söhne genommen worden, sodass ich einem verdorrten Baum gleiche, und dein Los als Witwe ist auch nicht leicht.“ Seine Stimme war zu einem Flüstern herabgesunken.
Von Guntrams drei Gemahlinnen war die erste verstorben, und die zweite hatte er verstoßen, weil sie seinen erstgeborenen Sohn vergiftet haben sollte. Brunichild glaubte nicht daran, sie hatte Marcatrud noch kennengelernt, eine sympathische, mitfühlende Frau, was natürlich kein Beweis dafür war, dass sie nicht fähig sein sollte, um der Zukunft ihrer eigenen Kinder willen andere aus dem Weg zu räumen. Inzwischen waren auch ihre Söhne tot.
„Ja“, stimmte Brunichild weich zu, „das Leid bringt uns einander näher.“ Unauffällig langte sie hinter Guntrams Rücken nach Felix’ Hand und drückte sie sacht, um ihm zu verstehen zu geben, wie gut er seine Sache machte. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie es in seinem Gesicht zuckte. Was für ein außergewöhnlich verständiges Kind. Aber seine Hand war eiskalt.
Guntram zwinkerte Felix zu, während er wieder das Wort ergriff.
„Chlodomer war mir der liebste meiner Söhne“, erklärte er, „deiner hat eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm, vor allem in der Haltung. Ein wirklich ruhiges Kind, das gefällt mir. Bring ihn bald einmal zu mir in meine Privaträume, damit ich mich ungestört mit ihm unterhalten kann.“
Während Brunichild überlegte, wie sie das verhindert konnte, näherten sich andere Gäste, denen sich Guntram widmen musste. Eilig ergriff sie die Gelegenheit und brachte Felix zurück in die Unterkunft. Der Plan mit dem Austausch der Jungen war nicht recht ausgereift gewesen. Ursprünglich hatte sie vor gehabt, die beiden gleichzeitig bei Hof zu zeigen und es allen schwer zu machen, sie auseinanderzuhalten. Dafür hatte sie ihnen die gleiche Kleidung nähen lassen, und Bertho hatte Stiefel bekommen, die ihn größer machten, damit der Unterschied kaum noch ins Auge fiel. Wer schaute sich ein Kind schon so genau an?
Inzwischen fand sie es gescheiter, immer nur einen - und wenn möglich Felix -, zu präsentieren, auf den mehr Verlass war. Sie war sicher, dass er sein Versprechen, seine Mutter nicht einzuweihen, gehalten hatte. Nur zu genau wusste sie, dass Aletha sie für ihr Handeln, was sie tat, selbst wenn Felix unbeschadet wieder nach Hause gelangte, für immer hassen würde.
Zwei Tage vor der feierlichen Beerdigung kehrte Brunichild mit Felix von einem kleinen Ausritt zurück, um den er gebeten hatte und den sie ihm als kleine Belohnung und Aufmunterung nicht hatte abschlagen wollen – außerdem ritt sie selbst leidenschaftlich gern. Sie hatten sich beide eine Belohnung verdient. Guntram hatte mit Felix gesprochen, und Brunichild war es gelungen, diese Unterredung möglichst kurz zu halten. Guntram war entzückt von dem Jungen, den er für seinen Neffen hielt. Es sprach also nichts dagegen, sich für einige kostbare Stunden aus dem Trubel des Hofs zu entfernen. Schade, dass sie Bertho nicht mitnehmen konnten. Vor Zorn darüber, sich unsichtbar halten zu müssen, obwohl er doch der gesalbte König von Austrasien war, verhielt sich Bertho immer ungebärdiger. Und er piesackte Felix, wo er nur konnte. Brunichild sehnte das Ende der Trauerfeier herbei und hoffte, dass Guntram endlich bekanntgab, wen er zu seinem Erben erkoren hatte.
Sie waren, von nur wenigen Kriegern begleitet, an der Saône entlanggeritten, die hier breit und träge dahinfloss und hatten nistende Vögel beobachtet oder den Lastschiffen zugeschaut, die Waren aus dem Süden herantransportieren, und die Stille genossen. Wesentlich zufriedener und wohltuend müde kehrten sie schließlich um.
Als sie in die Empfangshalle traten, bemerkte Brunichild, dass neue Gäste eingetroffen waren. Mitten in der Eingangshalle
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