Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
des Jungen mussten auf diese Gelegenheit gelauert und sie umsichtig genutzt haben. Wegen der Feierlichkeiten fielen Fremde in der Stadt kaum auf, sie brauchten sich nur ungezwungen genug zu bewegen.
Hatten Guntram die Trauerfeierlichkeiten für seinen letzten Sohn ohnehin den ganzen Tag aufgewühlt, so zerrte nun ein unerträglicher Schmerz an ihm, und es tat ihm zusätzlich weh, Brunichild so vergrämt und fassungslos zu sehen. Sobald sie allein waren, sank sie vor ihm auf die Knie und schaute mit tränenfeuchten Augen zu ihm auf, während er ihre zitternden Hände im Schoß hielt und sich der Unglücklichen zuneigte. Er hatte sie schon immer geliebt. Nicht nur ihr Leid zerriss ihn innerlich, sondern auch die Tatsache, die letzte fragile Hoffnung auf die Zukunft verloren zu haben. Die Zukunft seines eigenen Reiches.
„Du weißt, ich hatte ihn längst ins Herz geschlossen.“
„Bitte sprich nicht von ihm, als wäre er tot, das ertrage ich nicht“, schluchzte Brunichild. „Es ist meine Schuld, dass er ...“
„Nein, nein, so darfst du nicht denken, Liebes, niemals!“ Guntram hob eine Hand und strich ihr begütigend über das Haar. Er machte sich nichts vor. Wer immer das Kind entführt hatte, hatte es nur aus einem einzigen Grund getan: um es sofort zu töten. „Morgen hätte ich es dir gesagt: Bertho sollte mein Erbe sein. Ich war fest entschlossen, ihn zu adoptieren.“ Er sprach schleppend, als müsse er seine Gedanken erst ordnen, und so war es auch. Was vorher eine vage Idee gewesen war, gewann in der Rückschau Gewissheit. Jetzt, da es zu spät war. Abermals spürte er seinem inneren Schmerz nach.
„Wirklich?“, flüsterte Brunichild und blickte mit tränenfeuchten Augen zu ihm auf.
Eine müde, wehe Zärtlichkeit für diese schöne, tief unglückliche Frau überkam ihn. Er hätte sie am liebsten umarmt und an sich gezogen. Sigibert hatte so viel mehr Glück mit der Wahl seiner Königin gehabt als seine Brüder.
„Nun ja, du weißt, was von einer solchen Entscheidung abhängt. Chilperich hat Söhne, die älter sind, die bereits Erfahrung auf vielen wichtigen Gebieten haben, und in meinem Alter habe ich damit zu rechnen, plötzlich abtreten zu müssen. Bertho war ... ist ... erst sieben. Aber ja, er wäre mein Erbe, ich habe ihn gut genug kennengelernt, um mir sicher zu sein.“
Unentwegt rannen die Tränen aus den schimmernden blauen Augen. Nur wenige Frauen machten Tränen nicht hässlicher, sondern schöner. Guntram konnte den Blick nicht von dem lieblichen Gesicht abwenden.
„Das sagst du nur, um mich zu trösten. Trotzdem danke ich dir dafür“, stammelte Brunichild mit versagender Stimme.
„Bitte glaub mir!“, fuhr er auf. „Ich schwöre dir bei allen Heiligen, dass ich deinen Sohn Bertho, wäre er noch hier, zu meinem Erben erklären würde.“
Brunichild lächelte wehmütig. „Beim heiligen Martin, nicht wahr? Schwörst du bei Sankt Martin?“
„Du weißt es noch?“ Guntram lehnte sich ein wenig zurück, nestelte aus dem Ausschnitt seines Gewands eine kleine durchbrochene Kapsel aus Gold hervor, die ein Stück des Mantels enthielt, den der Heilige Martin zerschnitten und mit einem Bettler geteilt hatte. Eine unendlich kostbare Reliquie, die er Brunichild einmal gezeigt hatte. Unverwandt betrachtete sie die Kapsel, und in ihrem Blick lag ein Flehen, dem er sich nicht entziehen konnte. Die Hand auf der Kapsel, wiederholte er feierlich den Schwur. Ein Versprechen für die Ewigkeit. „Glaubst du mir nun?“
Eine Weile hielt Brunichild den Kopf gesenkt, um sich innerlich zu sammeln. Dann schaute sie zu ihm auf. „Bertho ist hier“, sagte sie schlicht.
Er deutete auf ihre Brust. „In deinem Herzen, sowie in meinem.“
„Er ist hier. Hier im Haus.“ Sacht drückte sie Guntrams Hand.
„Hier? Was meinst du damit?“, fragte Guntram misstrauisch.
Brunichild hielt seinen Blick fest, während sie sprach, die Augen weit geöffnet wie ein vertrauensvolles Kind. „Nicht Bertho ist entführt worden, sondern ein anderer Junge, Felix, Sohn eines anstrustio , Berthos Spielkamerad. Ich glaube, du hast ihn einmal gesehen, die beiden sind sich ein wenig ähnlich. Als ich den Irrtum bemerkte, hielt ich es für besser, ihn erst einmal für mich zu behalten. Ich weiß nun, wie gefährdet mein Sohn hier ist“, flüsterte sie.
Eine Weile bangen Wartens verging, während Guntram angelegentlich schwieg. Brunichild bebte innerlich, während sie sich fragte, ob sie ihre Karten richtig
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