Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
ausgespielt hatte.
„Falls du deinen Schwur nur abgelegt hast, um mich zu trösten“, sagte sie langsam, „so nehme ich ihn als Trost und nicht als heiliges Versprechen.“
Eindringlich erwiderte Guntram ihren Blick, und sie spürte, wie es in ihm arbeitete, wie er ihr Inneres zu erforschen suchte und konnte es ihm nicht einmal verdenken. Dann schüttelte er den Kopf.
„Wir treffen uns in Dompierre. Morgen reist du mit Bertho nach Dompierre, wo ich einen großen Hof habe. Zuverlässige Männer, die den Weg kennen, begleiten euch und sorgen für zusätzlichen Schutz. Wenn ich komme, bringe ich meinen Maiordomus, die nötigen Schreiber, den Siegelbewahrer und den Bischof von Chalon als Zeugen mit. Ich werde Bertho umgehend zum Erben erklären und die entsprechende Urkunde ausfertigen lassen. Wer außer dir weiß, dass dieser Felix entführt wurde und nicht Bertho?“
„Nur jene, die die Kinder die ganze Zeit über betreut haben.“
Wieder beäugte Guntram sie misstrauisch. Noch war die Sache nicht ausgestanden, er konnte jederzeit seine Meinung ändern. Sie setzte auf seine allseits bekannte Frömmigkeit, die ihn daran hindern sollte, einen Schwur auf den heiligen Martin zu brechen, den er so sehr verehrte.
„Und was ist mit Wandalenus? Er wartet draußen in einem der Vorzimmer. Soll ich ihn hereinrufen lassen?“
Brunichild hatte noch nicht mit Wandalenus gesprochen. Bedächtig schüttelte sie den Kopf und stand endlich auf. „Ich rede mit ihm. Sogleich, unter vier Augen, wenn du erlaubst und mich jetzt entschuldigst.“
Guntram lehnte sich seufzend in seinem Stuhl zurück. „Ja, tu das, ich möchte nun niemanden mehr sehen.“
6
Die Befriedigung, die die Arbeit auf casa alba Wittiges früher verschafft hatte, wollte sich nicht wieder einstellen. Und vor den Nächten graute ihm, denn es gelang ihm nicht, Aletha anzurühren, und er spürte, wie sehr er sie damit verletzte. Aber jedes Mal, wenn er sie in die Arme nahm, gab es diesen Moment, da sich wie in der ersten Nacht seit seiner Heimkehr eine Sperre in ihm aufbaute, und dann war die Erregung erloschen, die er vorher noch empfunden hatte. Es war demütigend, so zu versagen. Aber das war nicht einmal das Schlimmste. Das Schlimmste war die unsichtbare Mauer, die sich um ihn aufbaute und die ihn mehr und mehr von allen trennte. Wenn Aletha versuchte, mit vorsichtigen Fragen in ihn zu dringen, konnte er nicht anders, als sie anzufahren. Es gab keinen Ausweg. Als er ihr die Filzbahnen überreicht hatte, hatte sie zum letzten Mal unbeschwert gelächelt. Mit dem seltsamen Tuch hatte er ihr eine größere Freude gemacht, als er ihr mit Schmuck oder anderem kostbaren Tand bereitet hätte.
Irgendwann befragte sie ihn über Herstellung, aber er hatte nicht viel von Venantius’ weitschweifigen Erläuterungen in Erinnerung behalten. Dennoch beschloss sie, einen solchen Stoff selbst herzustellen.
„Hättest du bloß besser zugehört“, klagte sie.
Sie befanden sich in einem der Räume, die als Stofflager, Näh- und Stickstuben dienten. Auf dem Boden lagen Wollfusseln und auf einem kleinen Tisch hatte Aletha mehrere Wachstafeln ausgelegt, auf denen sie Webmuster entworfen hatte. In einem kleinen Käfig aus Weidengeflecht, der beim Fenster an einem Seil von der Decke hing, pfiff melancholisch ein Fink vor sich hin. Wittiges verspürte den Wunsch, die Käfigtür zu öffnen und das Vögelchen in die Freiheit zu entlassen.
„Warum willst du dich damit abgeben?“, fragte er mit der matten Neugier, die er für das Thema aufzubringen vermochte. Alles, was ihn an die Awaren erinnerte, rief sofort Abwehr, wenn nicht gar Abscheu hervor, und er fragte sich, warum er das Tuch unterwegs nicht weggeworfen hatte.
„Weil sich damit so viel anfangen lässt, begreifst du das nicht? Ein dermaßen festes Tuch, das weder Wind noch Wasser durchlässt, ist pures Gold wert. Stell dir vor, du fertigst Wandbehänge in schönen kräftigen Farben daraus an, die sich außerdem besticken ließen. Jeder wird sie haben wollen, um damit im Winter die Zugluft auszusperren. Jeder, der es sich leisten kann. Solche Behänge brächten uns viel Geld ein.“ Eine sanfte Röte hatte ihr die Wangen gefärbt und ihre Augen blitzten vor Erregung. Wie gern hätte er sie an sich gezogen, gestreichelt und geküsst. Das Verlangen nach ihr überfiel ihn wie ein großer Hunger, aber er wusste aus leidvoller Erfahrung, dass ihm am Ende doch nur neues Versagen drohte. Außerdem waren sie nicht allein.
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