Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
gelöst, bei einigen anderen war mit der Lösung begonnen worden. Und was tut die Volkspolizei? Sie schickt ihre Männer los, treppauf, treppab durch die Plattenbauten, und lässt die Leute Druckbuchstaben schreiben, und dann mussten die Graphologen heran und die Schriftproben abgleichen. Über Monate ging das so, mein Gott, muss das auf die Plattfüße geschlagen haben …«
»Der Fall hat sich in Halle-Neustadt ereignet«, bemerkt Meunier, »nicht in Halle. Aber davon abgesehen – was hätten denn Sie getan?«
»Ich hätte mir die Lösungen angesehen. Was ist richtig gelöst? Was falsch? Was weiß die Person, die sich die Rätsel vorgenommen hat, was weiß sie nicht… Aber vermutlich wäre es in der DDR Zeichen eines reaktionären Gesellschaftsverständnisses gewesen, wenn man aus jemandes Bildungsstand ein Profil hätte ableiten wollen.«
Eine Lautsprecherdurchsage unterbricht ihn.
In wenigen Minuten wird der Zug in Mainz Hauptbahnhof halten.
»Spielereien«, sagt Meunier, als die Durchsage verklungen ist. »In Halle-Neustadt hatte es die Polizei mit einem richtigen Mord zu tun, und da hilft nur knochenharte Recherche. Damit ist der Kerl schließlich auch gefasst worden. Aber warum erzählen Sie mir das? Um mir durch die Blume zu sagen, dass Sie mich für einen dummen Ossi halten?«
Berndorf wirft einen Blick nach draußen. Der Zug fährt langsamer, andere Gleise verlaufen neben dem ihren. »Ich habe Ihnen das erzählt, um Ihnen klarzumachen, dass Sie ihre Strategie ändern müssen«, antwortet Berndorf. »Sie können nicht mehr die Genossen Volkspolizisten losschicken, treppauf, treppab durch die weite Welt, und fragen lassen, ob jemand Ihr Geld gesehen hat. Oder den Herrn Autenrieth. Wie lange schon suchen Sie Ihr Geld? Seit zehn Jahren? Aber Sie finden es nicht. Ums Verrecken nicht… Folglich muss Ihr Geld dort sein, wo Sie es nicht suchen.« Er lächelt. »Ich suche nicht, ich finde. Hat Picasso einmal gesagt.«
»Adenauer. Picasso. Allmählich übertreiben Sie.«
»Wie Sie meinen«, antwortet Berndorf. »Aber sehen Sie – wenn ich mit Ihnen ins Geschäft kommen soll, muss ich sicher sein, dass Sie mit Informationen vernünftig umgehen. Und dass Sie sie fair honorieren. Bisher bin ich da nicht so sicher.« Meunier hebt die rechte Hand. »Wenn Sie Sicherheiten brauchen – kein Problem. Nennen Sie sie uns.«
Berndorf schüttelt den Kopf. »Nicht jetzt.« Er steckt den Rätselband ein und steht auf und nimmt seinen Mantel. Felix steht wartend neben ihm. »Es gibt ein paar Dinge, an die wir uns erst gewöhnen müssen, mein Hund und ich«, fährt er fort. »Das Zugfahren gehört dazu, und eine bestimmte Gesellschaft auch. Am Anfang soll man nicht zu viel zumuten. Ich verlasse Sie jetzt. Wenn es noch etwas mitzuteilen gibt, wissen wir ja jetzt beide, wo wir uns erreichen können.«
Der Zug fährt in den Mainzer Hauptbahnhof ein. Berndorf steht auf, den Hund an der kurz genommenen Leine. Er geht an Meunier vorbei und schiebt die Abteiltür auf, als der Hund sich plötzlich losreißen will, hochsteigt und Meunier durch den Maulkorb hindurch böse anknurrt. Mit einem heftigen Ruck an der Leine zieht ihn Berndorf zu sich her.
»Entschuldigen Sie«, sagt er zu Meunier.
»Nichts passiert«, antwortet der. »Und vergessen Sie nicht: Null-null-drei-fünf-acht. Die Vorwahl von Finnland. Sie werden jetzt doch sicher ein Ferngespräch mit Helsinki führen wollen …«
Berndorf schiebt die Abteiltür zu. Ruhig tut er das, beherrscht.
Tamar verstaut den Staubsauger in der kleinen Abstellecke hinter der Küche. Dann geht sie noch einmal durch die Wohnung. Sie hat nichts vergessen. Ihre beiden Taschen sind gepackt, auf dem Schreibtisch liegt die Tüte mit den getrockneten Schweinsohren für Felix, sie kann Berndorf schließlich keine Blumen in die Wohnung stellen, jetzt schon gar nicht.
Sie setzt sich an den Schreibtisch. Danke für die Gastfreundschaft. Was noch? Passen Sie gut auf sich auf. Das klingt, als ob sie der Fernsehpfarrer wäre. Machen Sie’s gut. Wir sind hier nicht im Sondereinsatz, kurz vor dem Zugriff. Gruß an Felix. Das geht. Kurz entschlossen schreibt sie es hin und steht auf. In diesem Augenblick schlägt das Telefon an. Sie wirft einen Blick auf das Display, eine ausländische Nummer.
Zögernd hebt sie ab und meldet sich. »Ja?«
»Tamar, sind Sie das?«
Sie erkennt die Stimme der Professorin Barbara Stein, die Stimme klingt wie immer hell und präsent. Aber diesmal hört
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