Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Es gibt keine berechenbaren Fronten mehr, keine klaren Linien. Die Amerikaner haben das jetzt zu spüren bekommen, die Russen übrigens auch. Niemand weiß, wo die wirkliche Gefahr ist, von wem sie droht, welches Gesicht sie hat… Deshalb ist es meine Philosophie, Berechenbarkeit herzustellen. Es ist nicht gut, andere Menschen täuschen zu wollen. Tricks zahlen sich nie aus.« Er schüttelt den Kopf. »Nicht langfristig. Für niemanden. Den einen legt man herein und lacht noch darüber, und dann fährt man vor lauter Lachen das eigene Auto gegen den Baum, und das Auto ist so kaputt, dass man nicht einmal mehr die Hundeleine darin findet…«
Er deutet auf Felix. »Ziemlich neu, dieser Maulkorb, wie?«
Felix steht abrupt auf. Berndorf zieht ihn zu sich her. »Ganz ruhig«, sagt er und klopft ihm auf das Hinterteil, bis der Hund sich wieder setzt.
»Aber was ist schon ein Auto?«, fährt Meunier fort. »Es geht um die Menschen, und die sind überall in Gefahr. Selbst in der eigenen Wohnung, selbst im kleinen Ulm, oder irgendwo in Berlin, was weiß ich, in Dahlem vielleicht…«
Oder irgendwo in Berlin. Berndorf sieht sich Meuniers Lächeln an. Es ist ein freundliches, ein verbindliches Lächeln. Ganz ohne Häme. Denk dir ruhig aus, was da passieren kann. Und wem. In Dahlem vielleicht. Es kann ein Brief sein, oder ein Umschlag, der aussieht, als sei eine Seminararbeit darin. Und dann ist eine Hand verstümmelt oder abgerissen, und das Gesicht hängt in Fetzen. Oder es ist auch nur noch ein blutiges Etwas da, aus dem das Leben entflieht. Glaub bloß nicht, dass die das nicht fertig bringen.
»Mit meinen bescheidenen Lebensumständen haben Sie sich sehr viel Mühe gegeben«, sagt er schließlich. »Es wäre unhöflich, Ihnen nicht weiter zuzuhören.«
Meunier zögert einen Augenblick. »Hört sich für den Anfang nicht schlecht an. Also – ich sagte Ihnen, dass wir zu Beginn unserer geschäftlichen Aktivitäten einen herben Rückschlag erfahren haben. Einen sehr herben. Man hat uns kalt lächelnd beschissen. Es war ein Fall wie aus dem Lehrbuch: Was passiert, wenn man sich mit dem Klassenfeind einlässt… Aber wir bekommen unser Geld zurück. Wir werden es finden, und wir werden es holen. Glauben Sie es mir.«
»Schön für Sie«, sagt Berndorf.
»Sie sollten nicht so tun, als seien Sie unbeteiligt«, antwortet Meunier. »Das ist nicht klug. Klug wäre es, gemeinsam zu prüfen, welche Interessen wir haben und wie wir sie auf einen Nenner bringen können. Ich habe Ihnen meine Situation dargelegt. Nun sind Sie am Zug.«
Berndorf lehnt sich wieder zurück. In seinem Kopf rumort es. Zu wenig Schlaf. Da gibt es eine Wohnung in Berlin. Zu viel Versatzstücke. Der nach Argentinien abgereiste Ministerialbeamte Autenrieth. Der Bundessicherheitsrat, was immer der tut. Eine Stasi-Seilschaft, in den Kapitalismus gewendet.
»Sie haben also herausgefunden«, sagt er schließlich, »dass der Herr Autenrieth nie in Südamerika angekommen ist.« Es ist ein Schuss ins Blaue, nichts weiter. »Meinen Sie nicht, dass Ihnen das etwas früher hätte auffallen können?«
Meunier schweigt einen Augenblick. »Er ist nie angekommen, sagen Sie«, wiederholt er schließlich. »Das ist sehr interessant für uns. Gewiss doch. Aber können Sie mir auch sagen, warum Sie da so sicher sind?«
»Je einfacher denken, ist oft eine wertvolle Gabe Gottes«, antwortet Berndorf. »Hat der alte Adenauer gesagt.«
Meunier schüttelt den Kopf. »Wir haben hier keine Rätselstunde.«
»Dabei ist das ein gutes Stichwort«, meint Berndorf. »Vorhin zum Beispiel habe ich mir ein Kreuzworträtsel angesehen, und wie Sie hier ins Abteil hereinkamen, fiel mir eine Geschichte dazu ein, die Sie kennen müssten.« Er setzt sich seitlich, so dass er Meunier besser ins Auge fassen kann. »Ein Sexualmord, ziemlich scheußlich, irgendwo in Halle verschwand ein Junge, die Leiche wurde in einem Koffer an einem Bahngleis gefunden, die Leichenteile in Zeitungspapier eingepackt, und die einzige Spur waren die Kreuzworträtsel in den Zeitungen, die irgendjemand zu lösen versucht hatte… Ich wusste gar nicht, dass es in den Zeitungen der guten alten DDR Kreuzworträtsel gab, ich dachte, die seien von vorn bis hinten mit den Erklärungen des Zentralkomitees bedruckt gewesen.«
»Sie können mich nicht provozieren«, sagt Meunier. »Aber reden Sie nur. Wir haben Zeit. Notfalls bis Ulm.«
»Nun gut«, fährt Berndorf fort. »Da waren also Kreuzworträtsel, einige
Weitere Kostenlose Bücher