Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
rausgekriegt?«
Sprach der Knabe: »Dass das weiche Wasser in Bewegung
mit der Zeit den mächtgen Stein besiegt
Du verstehst, das Harte unterliegt.«
Die Frage bezog sich also auf Brechts »Legende von der Entstehung des Buches Taoteking«, und wer immer dieses Rätsel angegangen war, hatte mit dieser Frage offenbar kein Problem. Aber warum diese Schreibweise? Die eine oder andere Ausgabe des Buches von Weg und Tugend hatte er früher auch schon einmal in der Hand gehabt. Aber in seiner Erinnerung war der Titel jedes Mal als Taoteking transskribiert gewesen, so unterschiedlich die Übersetzungen sonst auch ausgefallen waren …
Nun ja, denkt er schließlich, dass chinesische Schriftzeichen auf verschiedene Weise übertragen werden können, ist ihm nicht zum ersten Mal aufgefallen. Wie war das mit Peking? »Beijing« stand in der Zeitung, gestern erst… Aber welche Schreibweise hat der Rätselmacher zugrunde gelegt?
Er will sich das Rätsel nun doch genauer ansehen, aber leise rauschend rollt der Zug vorbei an Rhein und Ruinen und abgeernteten Weinbergen, in den schnurgerade gesetzten Weinstöcken verhaken sich Wortfetzen, die Wortfetzen verschwimmen, noch ehe Berndorf sie entziffern kann, man schaut danach und sieht es nicht, sein Name ist…
Berndorf ist eingeschlafen.
»Na also«, sagt Tamar und weist auf den Besucherstuhl, »jetzt können wir uns ja doch noch unterhalten.«
Paco setzt sich zögernd. Vor einer halben Stunde ist er gebracht worden, er ist unrasiert und die langen schwarzen Haare hängen ihm fettig um den Kopf. Tamar hat ihm die Handfessel abnehmen lassen, und wie er so dasitzt, ist er ein eher unsicherer, fast verängstigter junger Mann. In der Kneipe war er ihr noch vorgekommen wie einer dieser Hinterhof-Rambos, vibrierend vor Aggressivität, die sofort und ohne Ansatz zuschlagen … Das ist gar nicht so selten, denkt Tamar. Wenn sie keinen Eindruck mehr machen können, wenn niemand mehr vor ihnen Angst hat, dann ist mit einem Mal die Pose weg, und das Lässig-Tänzerische auch, schade, dass diese Carmen ihn nicht so sehen kann.
»Sie haben mal geboxt, richtig im Ring?«
»Hab ich nicht.«
»Auch kein anderer Sport? Karate? Irgendetwas in der Art?« »Ich weiß nicht, warum Sie mich das fragen.«
Das Gespräch setzt sich fort und wird nicht weniger zäh. Tamar erinnert sich an ihre Schulzeit. Sie war mit Kindern aus der Siedlung – wie das damals hieß – in die gleiche Klasse gegangen, und wenn diese Kinder nicht wollten, dann konnte kein Lehrer jemals etwas aus ihnen herausbringen. Paco ist so ein Schüler, da kann sie mit Himmelszungen den Unterschied erklären zwischen Mord und Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge, Paco kapiert nur das eine, dass sie nämlich eine Naterer ist. Und eine Frau. Da wird er nicht das Maul aufmachen, gleich zweimal nicht.
Schließlich holt sie für sich und Paco Kaffee. »Eigentlich habe ich gedacht, wir finden Sie in Rotterdam«, sagt sie beiläufig und setzt sich wieder hinter ihren Schreibtisch.
»Wieso in Rotterdam? Das ist nicht meine Tour.«
»Nicht?«, fragt Tamar zurück. »Dann hat man uns was Falsches gesagt.« Sie nimmt den Pappbecher mit dem Kaffee in beide Hände, als ob sie sich daran wärmen wolle.
»Das können Sie ruhig aufschreiben«, sagt Paco. »Rotterdam ist noch nie nicht unsere Tour gewesen. Ich fahr die Balkanroute, oder jetzt über Italien mit der Fähre, weil, durch Jugoslawien kommt keiner mehr durch…«
»Ah ja?«
»Schreiben Sie es nur auf, wofür habt ihr eure schlauen Notizbücher?«
Tamar stellt den Kaffeebecher ab und holt ihren Notizblock heraus und ihren Kugelschreiber. »Warum ist Ihnen das so wichtig, dass Rotterdam nicht Ihre Tour ist?«
Paco blickt ratlos. »Ich hab immer gedacht, vor der Polizei soll man die Wahrheit sagen.«
»Was wissen Sie denn über die Ladung für Rotterdam?«
»Woher soll ich da was wissen? Rotterdam war…«
»War noch nie Ihre Tour, ich weiß«, unterbricht ihn Tamar. »Sie fahren die Balkanroute. Nehmen Sie da die Ladung immer in Lauternbürg auf?«
Paco blickt hoch. »Was soll das?«
»Kann ja sein, dass woanders noch was zugeladen wird.« Sie blickt Paco an. »Oder dass Sie erst ein paar Kisten holen, und das andere kommt dann in Lauternbürg dazu.«
Paco zögert. »Das kann schon mal gewesen sein.«
»Und wo haben Sie diese Kisten geholt?«
»So was steht in den Papieren.« Paco blickt ihr in die Augen.
»Wirklich?«, fragt Tamar und hätte
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