Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
sich an diese Zeit. Aber er ist nicht aufgelegt, über die Menschenkette zu reden oder die Demonstrationen vor den Wiley Barracks oder im Kettenhauser Forst, und wie es ist, wenn einer auf der falschen Seite der Barrikade steht. »Und solche Dinge reichen aus, dass jemand nicht dazugehört?«
Rübsam hält inne und nimmt einen Schluck Tee. »Damals hat es ausgereicht. Aber es war nicht allein die Friedensbewegung, die an Marielouise irgendwie vorbeilief. Man hat damals ja eine Reihe weiterer Themen entdeckt, schließlich wussten wir, dass wir diesen emotionalen Hochdruck von Menschenkette und Sitzblockaden nicht unbegrenzt durchhalten könnten. Wir mussten Themen finden, die überschaubar waren und bei denen konkrete, greifbare Erfolge erzielt werden konnten. Eines dieser neuen Themen war der Kampf gegen den Bau neuer Müllverbrennungsanlagen, das stand bald ganz weit oben auf der Agenda… Ich erinnere mich an eine Diskussion über eine drohende flächendeckende Dioxin-Vergiftung ganzer Landstriche zwischen Neckar und Alb, irgendwann meldete sich Marielouise zu Wort und wollte etwas von dem Sickerwasser erzählen, das aus den Westdeponien in der DDR austritt… Ich weiß noch, wie wir uns alle angesehen und gedacht haben, nicht die schon wieder.« »Guntram Hartlaub hat das etwas anders gesehen?«, fragt Berndorf.
»Ja, das hat er«, meint Rübsam. »Zunächst haben wir uns zwar ein wenig gewundert, als er sich um Marielouise zu kümmern begann. Die meisten haben das wohl als eine Art persönlicher Behindertenseelsorge verstanden, dabei war sie ja schon damals eine aparte Erscheinung, wenn man sich an diesem geraden, ernsten Blick nicht stört, den sie manchmal hat… Später hörte ich dann die Version, Hartlaub habe sich damit nur bei der Kirchenführung lieb’ Kind machen wollen. Eine DDR-Dissidentin als Verlobte war dort selbstverständlich sehr genehm, und wenig später ist er nach Bonn an die Ständige Vertretung berufen worden, die die Evangelischen Kirchen in Deutschland bei der Bundesregierung unterhalten. Wie es der Zufall will, war der Ständige Vertreter der EKD zu jener Zeit zugleich der evangelische Militärbischof. Da sehe man es ja, hab ich von Leuten gehört, denen Hartlaubs Verlobte schon immer verdächtig war.«
»Ihre Kollegin hat es nicht leicht mit den Leuten«, sagt Berndorf. »Eigentlich wundert es mich auch nicht.«
Rübsam blickt fragend.
»Egal«, fährt Berndorf fort. »Erst war es die Friedensbewegung, von der sie gemobbt wird. Nun ist es die Fromme Gemeinde … Das ist zwar alles nicht sehr schön, aber für sich genommen noch kein Grund, einen pensionierten Kiberer zum Schach einzuladen.«
»Ich habe einen Fehler gemacht«, sagt Rübsam, »und zwar habe ich unseren Prälaten zum Eingreifen aufgefordert. Leider ist unser Prälat notorisch unfähig, ein Feuer ausnahmsweise nicht zu legen, sondern es zu löschen…«
»Was ist ein Prälat, und warum hat man in der evangelischen Kirche so etwas?«, will Berndorf wissen.
»Der Prälat ist in der württembergischen Landeskirche eine Art Regionalbischof«, antwortet Rübsam, »und hat die Dienstaufsicht über die Dekane. Also hat er auch eine Fürsorgepflicht und müsste handeln.«
»Und mit welcher Begründung tut er es nicht?«
»Er sagt, gegen Klatsch hilft nur Abwarten, bis er aufhört. Das verharmlost die Sache, aber zur Erklärung hat er mir eine merkwürdige Geschichte von einem Jenenser Theologieprofessor erzählt, der in seinem Seminar hat Prüfungsarbeiten fertigen lassen, für irgendwelche IM, die im Westen Karriere machen sollten… Was schauen Sie so?«
Zwischen niedergetretenem Gestrüpp ziehen sich Kabel an Weidengehölz vorbei. Scheinwerferlicht fällt auf laubbedeckten Boden, auf Gesträuch und auf schwarz schimmerndes Wasser. Von Nordnordwest fegen Windböen heran und wirbeln Buchenlaub über die Wasserfläche. Eine lehmige Spur markiert die Stelle, an der einer der beiden Polizeitaucher sich in das Loch hinabgelassen hat. Aus der Tiefe steigen Luftblasen hoch und zerplatzen an der Oberfläche.
»Trotzdem würde es mich wundern«, sagt Steinbronner und bietet Tamar einen Kaugummi an, »verdammt wundern würde es mich, wenn wir da unten etwas fänden. Es ist nicht die menschliche Natur, wissen Sie …«
Tamar stellt fest, dass sie einen Kaugummi mit Menthol-Aroma erwischt hat. Das kommt davon, wenn eine nicht zickig sein will.
»Was tot ist, das muss unter die Erde«, fährt Steinbronner fort. »So steckt es
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