Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
hier sitzen«, antwortet Hartlaub widerstrebend, »ich bin ja eben erst gekommen…«
Tamar hat den Wachraum verlassen und geht den Gang hinab. Jetzt weiß sie es. Es ist die Theologin, Eugen Hollerbach hatte einen Artikel über sie geschrieben, irgendetwas über viel Lärm um nichts. Kuttler sollte herausbringen, ob Hollerbach vor seinem Tod mit ihr gesprochen hatte, es hatte da einen Widerspruch gegeben. Es gibt nur Widersprüche in diesem Fall. Oder Dinge, die nicht zusammenpassen.
Ein Mann wartet am Ende des Ganges, dort, wo das Arztzimmer ist. Der Mann trägt seinen Trenchcoat über dem Arm und hält sich sehr aufrecht.
Nicht auch noch der, denkt Tamar. Sie verlangsamt den Schritt. Er ist älter geworden, denkt sie. Als ob es über Nacht geschehen sei. Hektische Flecken im Gesicht. Sie bleibt vor ihm stehen. Er lächelt. Flüchtig. Angestrengt.
Tamar hat keine Lust, das Lächeln zu erwidern. »Was wollen Sie hier?«
»Das wollte ich eigentlich mit dem Arzt besprochen haben, der hier Dienst tut.«
»Bitte.« Sie geht einen Schritt zur Seite. Den Gang kommt mantelwehend Benno Burgmair entlang, er erkennt Berndorf und begrüßt ihn mit dem Respekt, der einer Amtsperson auch dann noch eine Weile nachhängt, wenn sie es nicht mehr ist. »Sie kommen aber nicht wegen der gleichen Patientin?«, fragt er dann und macht eine Handbewegung, die von Berndorf zu Tamar zeigt und dann wieder zurück. »Bei einem Verkehrsunfall würde mich das irgendwie wundern.«
»Der Name ist Marielouise Hartlaub«, sagt Berndorf, »ich hätte gerne gewusst, wie es ihr geht, und ob ich mit ihr sprechen kann.«
Ich hätte darauf wetten können, denkt Tamar.
»Also doch«, sagt Burgmair und erklärt, dass es zu einer Beunruhigung keinen Anlass gebe, es sei gerade ihr Mann bei ihr, er habe aber den Eindruck, dass sie jetzt nur Ruhe wolle: »Ich würde Sie bitten, es morgen zu versuchen.«
Berndorf fragt nach den Verletzungen, Burgmair zögert kurz und sagt dann etwas von einer Gehirnerschütterung: »Wir werden es sorgfältig beobachten, aber es liegt keine Schädelfraktur vor.«
Tamar beobachtet die beiden Männer. Berndorf zögert, er will diese Frau unbedingt sehen, denkt sie, Burgmair ist zu höflich, ihn wegzuschicken… Schließlich greift sie doch ein.
»Kommen Sie, wir haben ihn lang genug aufgehalten«, sagt sie zu Berndorf und deutet dabei auf Dr. Burgmair. »Ich habe Frau Hartlaub gesehen, sie braucht wirklich Ruhe. Und davonlaufen wird sie Ihnen auch nicht.«
Sie nickt Burgmair zu, mit gemessener Freundlichkeit, nimmt Berndorf am Arm und zieht ihn mit sich zum Aufzug.
»Wie sind Sie hierher gekommen?«, fragt sie, während sie auf den Lift warten.
»Mit dem Taxi.«
»Und der Hund?«
»Den hab ich in der Wohnung gelassen.«
Der Lift kommt, sie steigen ein. »Ich fahr Sie zurück, ist das okay?«
»Ich bin ja schon froh, wenn Sie mich nicht schon wieder vorläufig festnehmen.«
Tamar wirft ihm einen schiefen Blick zu. »Kann alles noch kommen.«
Schweigend gehen sie durch das Foyer hinaus in die Nacht. Tamars Dienstwagen ist neben dem Eingang halb auf dem Gehsteig geparkt, sie steigen ein und Tamar startet.
»Sie wollen mir nicht sagen, warum Sie sich für Marielouise Hartlaub interessieren?«, fragt sie, als sie auf die Straße eingebogen ist, die zur Stadt hinunterführt.
»Finden Sie nicht«, antwortet Berndorf langsam, »dass das ein bisschen viel verlangt ist?«
»Nein«, meint Tamar, »das finde ich nicht. Sie sind auch nicht der Einzige, der sich für diese Frau interessiert. Kuttler tut es, und Hollerbach hat es getan.«
»Ich habe ein privates Interesse, ein persönliches«, sagt Berndorf. »Genügt das? Außerdem habe ich nach ihr gefragt, weil ich dazugekommen bin, als der Unfall war. Eine Zeugin will gesehen haben, dass sie vor einem Mann davongelaufen ist. Ich war es, der die Frau zur Polizei geschickt hat.«
»Besten Dank«, sagt Tamar. Ohne dass sie es darauf anlegt, klingt es sarkastisch. »Und warum sind Sie dazugekommen, so ganz und gar zufällig, wie ich annehmen darf?«
»Ich hatte den Prälaten Wildenrath besucht. Er ist eine Art evangelischer Hilfs- und Leihbischof und wohnt an der Adlerbastei.«
»Sie entwickeln sehr merkwürdige Interessen, wissen Sie das?«
Berndorf antwortet nichts.
»Ich glaube Ihnen kein Wort«, fährt Tamar fort. »Vom ersten Tag an haben Sie sich in diese Hollerbach-Geschichte eingemischt und Ihr eigenes Spiel gespielt. Und ich dumme Kuh bin Ihnen noch dabei
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