Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
ausgestellt.«
Durch die Jalousie fällt das Licht einer Straßenlampe und zeichnet Streifen auf die Decke. Berndorf liegt mit aufgestütztem Oberkörper im Bett und betrachtet die Nackenlinie Barbaras, die ihm den Rücken zugekehrt hat.
»Ist dir klar«, sagt sie in die Dunkelheit, »dass ich vorhin, auf der Autobahn, am liebsten aus dem Wagen gesprungen wäre? Jedenfalls wollte ich raus, an der nächsten Ausfahrt.« »Und wann soll das gewesen sein?«
»Bist du wirklich so abgestumpft? Was hast du dir eigentlich gedacht, als du diese Vollmacht hast ausstellen lassen? Du ziehst mich da in etwas hinein, dessen Ausgang völlig ungewiss ist, und fragst mich nicht einmal …«
»Ich hab dich schon vorher hineingezogen«, antwortet Berndorf. »Unfreiwillig. Und diese Vollmacht musst du nicht annehmen. Wir geben sie zurück.«
»Das ist zu spät. Jetzt hast du mich schon ins Spiel gebracht.« Barbara dreht sich zu ihm um. »Du wirst schon noch sehen, was du davon hast. Aber ich weiß immer noch nicht, wie du an dieses Konto herankommen willst.«
»Ich glaube, die junge Autenrieth hat eine Ahnung, welche Bank es ist. Vielleicht hat sie sogar bereits versucht, an das Depot zu kommen. Allein oder in Begleitung von Meunier, seine Hand an ihrem Ellbogen. Aber Fehlanzeige. Ohne Passwort oder Zahlencode hat sie keinen Zugang.«
»Und warum meint sie, dass ausgerechnet du den Code kennst?«
»Den kenn ich ja gar nicht.« Er wendet sich zur Seite und tastet auf dem Fußboden nach seinem Mobiltelefon. »Ich kann nur raten.«
Er hat das Handy gefunden und schaltet es ein. Das Display zeigt an, dass es eine halbe Stunde vor Mitternacht ist. »Hast du was dagegen, wenn ich kurz Tamar anrufe? Mir ist da eine Frage eingefallen.«
»Bitte.« Barbara dreht sich zur Seite.
Das Rufzeichen wiederholt sich mehrmals. Schließlich hört Berndorf ein unterkühltes: »Ja?«
»Tut mir Leid«, sagt Berndorf, »Sie so spät zu stören…«
»Das fällt nicht mehr ins Gewicht«, schneidet ihm Tamar das Wort ab. »Ich bin schon zufrieden, wenn Sie keine Blumen für Ihren Auftritt von heute Morgen erwarten.«
»Sicher nicht«, meint Berndorf demütig. »Ich habe nur eine Frage zu etwas, von dem Sie mir erzählt haben…«
Tamar schweigt.
»Sie sagten, bei Autenrieths Leiche sei ein Zigarettenetui gefunden worden, von dem die Tochter Cosima ein Duplikat besitze … Ich wollte wissen, ob das Labor das Etui schon untersucht und vielleicht eine Gravur darauf gefunden hat…« Das Schweigen hält an. »Sind Sie noch da?«
»Ja«, antwortet Tamar. »Ich bin noch da. Nur ein wenig sprachlos. Wenn ich Sie etwas frage, mauern Sie. Sie behindern unsere Ermittlungen. Sie randalieren auf unserer Pressekonferenz. Und jetzt rufen Sie nachts an und wollen auch noch Auskünfte …«
»Ich versuche nur, Beweismaterial zu beschaffen, das anders nicht zu bekommen ist. Material, das ich nur Ihnen…«
»Wenn Sie Beweismaterial besitzen, haben Sie es der Polizei zu übergeben. Nicht irgendjemandem, dem Sie gütigerweise einen Gefallen tun wollen.«
»Ja doch. Aber sagen Sie, die Gravur…«
»Auf dem Etui waren die Initialen Autenrieths eingraviert. Wenn Sie es genau wissen wollen: Es ist eine figürliche Darstellung und erinnert an eine Frau, die einen weiten Rock trägt. Der Rock bildet das A, der nach vorne gebeugte Oberkörper mit dem Kopf bildet das C. Ich sehe gespannt den Rückschlüssen entgegen, die Sie daraus ziehen.«
»Sieht es so aus, als ob die Frau läuft, oder springt?«
»Ja, so sieht es aus. Genügt das?«
»Sie haben mir sehr geholfen.«
»Und mir würden Sie sehr helfen«, antwortet Tamar, »wenn Sie meine Telefonnummer aus Ihrem Verzeichnis löschen wollten. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, oder was davon übrig ist.«
Das Gespräch bricht ab, und Berndorf schaltet sein Gerät aus. »Das klang, als ob Tamar nicht sehr entzückt gewesen ist«, stellt Barbara fest.
»Das wäre auch ein Wunder gewesen.«
»Und was ist mit der springenden Frau?«
»Es ist keine Frau«, antwortet Berndorf. »Es ist ein springender Mönch.«
»Wenn du meinst.«
»Es ist ein Motiv aus Mörikes Geschichte von der Schönen Lau«, erklärt Berndorf.
»Die Nixe aus dem Blautopf?«, fragt Barbara. Vor Jahren waren sie einmal dort gewesen.
»Ja, aber Mörikes Lau lebt nicht mehr hier«, antwortet Berndorf. »Sie war vom Schwarzen Meer in den Blautopf verbannt worden, weil sie nur tote Kinder bekam. Die Lau war nämlich immer traurig,
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