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Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)

Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)

Titel: Der Hund des Propheten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Kinderstimme. »Sie will nichts davon wissen, dass wir dort einziehen.«
    »Das stimmt nicht ganz«, widerspricht die Kranke. »Es ist nicht so, dass ich nichts davon wissen will. Ich weiß nichts davon.« Sie blickt Berndorf an. »Und Sie? Wie habe ich Sie kennen gelernt?«
    »In der vergangenen Woche in Ulm. Ich hatte meinen Hund dabei. Wir wurden uns vorgestellt und kamen ins Gespräch.« »Nett«, kommt es nach einer Weile. »Sie also sind nicht mit mir verheiratet. Ich mache Fortschritte.«
    Berndorf zieht das als Geschenk verpackte Taschenbuch heraus und wirft einen Blick auf den geschienten Arm und entfernt das Geschenkpapier. »Bei unserem letzten Gespräch hatten wir uns über ›Alice im Wunderland‹ unterhalten…« Marielouise nimmt den Band. »Danke.« Sie schlägt ihn aber nicht auf, sondern hält ihn in der rechten Hand. »Dass wir uns darüber unterhalten haben, ist nicht ganz und gar unmöglich. Ich habe es als Kind gelesen, auf einem Dachboden, glaube ich, aber mit meiner Erinnerung ist es nicht weit her, wie Sie bemerkt haben dürften… Wer bist denn du, sagte die Raupe, und Alice kann es nicht beantworten, denn sie weiß es selbst nicht… Sie haben also ganz die passende Lektüre ausgesucht, ich weiß nur nicht, ob ich lesen soll oder darf.«
    Berndorf überlegt, ob sie ihm damit bedeutet hat, sein Besuch werde zu anstrengend.
    »Aber bleiben Sie doch«, sagt Marielouise Hartlaub, »wenn ich Ihnen von ›Alice‹ erzählt habe, kann unser Gespräch so niederschmetternd nicht gewesen sein.« Berndorf wirft einen Blick in ihr Gesicht. In ihren Augen sieht er weder das Funkeln von Sarkasmus noch von Spott.
    »Jedenfalls nicht so, dass ich deswegen vor ein Auto laufen muss, finden Sie nicht?«
     
     
    Der Nachmittag ist grau geworden, die Autos, die dem Taxi entgegenkommen, haben bereits die Lichter eingeschaltet.
    »Mir hat besonders gefallen«, sagt Pascal, »wie die Katze grinst und verschwindet, bis nur noch das Grinsen da ist. Ich stelle mir vor, wie das bei Felix ist…« Pascal hat »Alice« im Frühjahr gelesen, im Mai, fügt er hinzu, als er neun wurde, er hat das Buch zu seinem Geburtstag bekommen.
    »Boxer grinsen eher selten«, gibt Berndorf zu bedenken. Sie sitzen im Fond und reden über »Alice im Wunderland«.
    »Ich habe auch eher an das Wedeln gedacht«, meint Pascal. »Er wedelt ja manchmal, obwohl er keinen Schwanz dazu hat, und ich stelle mir vor, dass nicht nur der Schwanz verschwunden ist, sondern auch der Hund, und nur noch das Wedeln da ist.«
    Der Taxifahrer biegt in das Hafenbad ein und fährt vor bis zum Beginn der Fußgängerzone. Berndorf bezahlt und steigt aus und geht mit Pascal bis zum Münsterplatz. Vor einem roten Sandsteingebäude verabschiedet er sich von dem Jungen. »Kommen Sie wieder, meine Mutter besuchen?«
    Berndorf zögert mit der Antwort. »Vielleicht am Samstag, wenn sie da noch nicht nach Hause darf.«
    »Morgen nicht?«
    »Nein, morgen nicht.«
    Pascal blickt fragend.
    »Morgen bin ich nicht in Ulm.«
    Der Flug AF 453 aus Helsinki landet nach Plan. Berndorf steht neben einer Gruppe von Männern, beginnende Bierbäuche, Freizeitkleidung in den Farben der Schnäppchenjäger, muntere Wechselworte in Reutlinger Schwäbisch zur Frage, warum es wohl heiße, die Teutonen seien mit Kind und Kegel ins römische Imperium eingefallen.
    Die Gepäckausgabe schwemmt einen sonnenverbrannten Rucksacktouristen zum Ausgang. Berndorf blickt zum Monitor hoch. Neben der Gepäckausgabe für AF 453 läuft auch die für LH 311 aus Arrecife. Lanzarote?, überlegt Berndorf. In die Gruppe der Männer kommt Bewegung, ein Pulk von Frauen im gefährlichen Alter und in sommerbunten Kleidern schwärmt kichernd dem Ausgang und den Ehemännern entgegen, tiefbraun alle, auch wenn bei einigen sich keck die Nase unterm Sonnenbrand schält.
    Berndorf wendet sich zur Seite, fast hätte er übersehen, was schlank und zielstrebig auf ihn zukommt, einen Segeltuchkoffer im Schlepptau. Kurzes Lächeln, das aufflammt und wieder geht und doch zwischen ihnen bleibt. Kein Wort, weil es manchmal kein Wort gibt, auf der ganzen Welt nicht, das diesem Lächeln gleichkommt.
    Berndorf nimmt den Segeltuchkoffer. »Du siehst gut aus«, sagt er, ohne dass er wüsste, warum ihm das in den Sinn kommt. Gegen die Kegeldamen aus Reutlingen sieht Barbara schmal aus und blass, und doch gelöst und heiter.
    »Und du, du hast abgenommen«, antwortet sie und mustert ihn. »Durch den Trenchcoat hindurch seh ich das…

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