Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
nicht, wer Hollerbach den Tip gegeben hat?«
»Das können viele gewesen sein.«
»Sie haben Hollerbach den Brief der Frau Hartlaub gezeigt?« »Was soll das jetzt?«, fragt Buck zurück. »Natürlich hab ich das.« Er steht auf und holt einen Aktenordner, dem er ein zerknittertes Blatt entnimmt. »Hier, lesen Sie nur.«
Das Blatt ist die Kopie eines Briefes, im Briefkopf ist eine Adresse im Stuttgarter Osten angegeben. Kuttler liest:
Werter Herr Präsident,
am vergangenen Sonnabend besuchte ich im Ulmer Universitätsklinikum einen schwer erkrankten Freund. Während meines Besuches versammelte sich ein Posaunenchor im Innenhof der Klinik und spielte unter anderem den Choral »Näher mein Gott zu Dir«. Nun sind die akustischen Verhältnisse in den Krankenzimmern so beschaffen, dass ein Weghören nicht möglich ist. Die Patienten müssen zuhören, welche Gefühle auch immer die Choräle in ihnen auslösen und wie immer diese zu einem vielleicht nur unter äußerster Anstrengung gefundenen seelischen Gleichgewicht sich fügen mögen. Für meinen Freund ist der Choral »Näher mein Gott …« in der außerordentlich belasteten Situation, in der er sich befunden hat, unerträglich gewesen, und ich fürchte, er ist nicht der einzige Patient, dem es so ergangen ist.
Ich bitte Sie deshalb zu prüfen, ob die Posaunenchöre aus dem reichen Bestand an Chorälen und kirchlichen Liedern nicht solche aussuchen könnten, die tröstlicher und vielleicht auch fröhlicher sind. Es gibt sie. Die anerkennenswerte Bereitschaft der Chöre, für die Kranken zu musizieren, käme dadurch auf eine Weise zur Geltung, die für niemanden schmerzlich ist.
In der Hoffnung, keine Fehlbitte getan zu haben
Marielouise Hartlaub
Kuttler reicht das Blatt zurück. »Ich versteh ja nicht ganz, warum Sie sich darüber so erregt haben«, sagt er dann. »Aber mich interessiert etwas anderes. In dem Artikel steht, dass die Frau, die sich beschwert hat, eine Theologin sei. Vielleicht hab ich es überlesen – aber aus diesem Brief scheint mir das nicht hervorzugehen …« Er blickt Buck an. »Woher wusste es dann der Hollerbach?«
»Es ist aber doch wahr«, sagt Buck entrüstet. »Sie ist nun einmal Religionslehrerin. Außerdem hat sie es mir gesagt. Wir hatten ja einen Disput damals, diese Frau Hartlaub ist aus der Klinik gestürmt und auf mich zu und hat mich angefahren wie einen Schulerbub …«
»Und da hat sie gesagt, dass sie Religionslehrerin ist?«
»Hat sie«, antwortet Buck. Das runde Gesicht ist nicht mehr rot, sondern fleckig.
»Ich versteh’s noch immer nicht«, meint Kuttler. »Dieser Hollerbach will doch keinen Artikel schreiben, nur weil sich irgendeine Frau über die Musik geärgert hat. Was glauben Sie, worüber sich die Leute alles bei uns beschweren? Wenn da jedes Mal das ›Tagblatt‹ kommen und was schreiben wollte… Also ist der Hollerbach auf diesen Fall nur deshalb angesprungen, weil es eine Theologin ist, die sich mit einem Posaunenchor angelegt hat. Knatsch in der Kirche, das ist doch immer für eine kleine Geschichte gut. Folglich hat er es gewusst, bevor er Sie angerufen hat, oder Sie selbst sind es gewesen, der ihn herbestellt hat. Wie war es nun wirklich?«
»Ich weiß nicht, warum Sie mich hier ins Verhör nehmen wie einen Schwerverbrecher«, antwortet Buck nach einer Pause. »Ich weiß es wirklich nicht. Dabei war das, was Sie mich fragen, alles bekannt. Wie dieser Brief kam, hat das doch sofort die Runde gemacht, dass das die Frau von dem Pfarrer Hartlaub aus Stuttgart ist. Und wie der Herr Hollerbach mich angerufen hat, da hat er den Namen schon gekannt und auch gewusst, dass Pfarrer Hartlaub neuer Dekan werden soll.«
Kuttler betrachtet Buck. Warum hast du mir das eigentlich nicht gleich erzählt? Fromm und fest gibt Buck den Blick zurück. Nur das Gesicht ist noch immer fleckig.
»Ja«, sagt Kuttler, »dann danke ich Ihnen sehr für Ihre Auskünfte …«
Über die Alb weht Wind aus Nordost und fängt sich in den letzten, braun und gelb verfärbten Blättern. Es ist frisch, aber die Luft riecht noch immer nicht nach Schnee. Durch die Bäume am Wallgraben schnürt ein großer gelber Hund, bleibt schnüffelnd an einem Gesträuch stehen, läuft weiter, scharrt prüfend an einem Erdloch und hält sich doch die ganze Zeit auf fast gleicher Höhe mit einem Mann, der auf dem Pfad am Fuße der Burgmauer entlanggeht.
Berndorf hat diesen Weg erst jetzt entdeckt. Denn der Gürtel von Bäumen,
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