Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
Kleingärten und Buschwerk, der sich fast um die gesamte Festungsanlage der Wilhelmsburg zieht, ist immer für einen Hundespaziergang gut. Es gibt Eichhörnchen dort und Kaninchen, Vögel, die aufflatternd flüchten, dazu die Markierungen läufiger Hündinnen.
»Zu verdanken hast du das dem Kaiser Napoleon«, sagt Berndorf, als Felix vom Wall zu ihm herunterkommt und für ein paar Schritte neben ihm herläuft. Im Oktober des Jahres 1805 hatte Bonaparte 60000 österreichische Soldaten in Ulm eingeschlossen und zur Übergabe gezwungen, Berndorf hat einmal eine Monographie darüber gelesen…
»Wie konnten Sie sich nur dazu verrennen, sich in einem so elenden Platz wie Ulm verteidigen zu wollen, der nicht einmal den Namen Festung verdient?«
Angeblich hat Napoleon das dem österreichischen Generalissimus Mack nach dessen Kapitulation an den Kopf geworfen. Berndorf hat sich den Satz gemerkt. Aus der sicheren Entfernung von bald 200 Jahren gefällt ihm dieser professionelle Zorn über einen Dilettanten. »Und weißt du, was das Schönste ist?«, fragt er Felix, aber der hört nicht zu, sondern bleibt stehen, den dicken Kopf vorgestreckt, wie erstarrt. Sekundenlang bleibt er so stehen.
Das Schönste ist – findet Berndorf –, dass der Deutsche Bund ein halbes Jahrhundert nach dem Debakel des Marschalls Mack die Stadt Ulm zu einem ganzen Komplex von Festungen, Bunkern und unterirdischen Kasematten ausbaut, so dass Napoleon, sollte er jemals wieder auftauchen aus der Weite des Raumes und der Vergangenheit, leicht 300000 Österreicher dort würde einschließen können.
Felix aber ist das Hekuba. Unvermittelt löst sich die Erstarrung, der Hund bricht durchs Unterholz, schlägt sich nach links und wieder nach rechts, bis er schließlich an einem Baumstamm hochspringt, auf den ein Eichhörnchen längst in sichere Höhe gehuscht ist.
»Das ist auch nicht besonders professionell, weißt du das?«, sagt Berndorf, der auf dem Weg stehen geblieben ist. Felix äugt noch einmal zur Baumkrone hoch, dann kehrt er zu Berndorf zurück. Zusammen gehen sie den Weg weiter, der bald scharf nach rechts abbiegt und talwärts führt. Hoch über ihnen starren die toten Geschützluken der Wilhelmsburg über die Stadt und das Donautal den napoleonischen Grenadieren entgegen, die doch niemals mehr kommen werden. Wieder bleibt Felix stehen. Ein schmaler Streifen Fell sträubt sich über seinem Nacken.
Auf dem Steg, der den Wallgraben überspannt, steht der schwarze Labrador, den Felix schon kennt, und wartet darauf, dass ihn sein Herr an die Leine nimmt und er dann ganz fürchterlich über Felix zetern kann.
Auch Berndorf eilt, Felix anzuleinen und mit ihm ein paar Schritte zur Seite zu gehen, so dass der Labrador und sein Herr passieren können. Das geht nicht ohne heftiges Gezeter des Labradors, der sich fast selbst stranguliert, um von der Leine zu kommen und diesen hässlichen gelben Köter da drüben zu massakrieren.
Felix wiederum knurrt tief und drohend.
Die beiden Hundebesitzer nicken sich grüßend zu, Berndorf ist es schon die ganze Zeit, als ob sie sich irgendwie bekannt seien, aber woher will ihm nicht einfallen.
Dann geht er mit Felix über die Holzbrücke und durch einen gemauerten Durchlass, der sie in das Wohnviertel unterhalb der Wilhelmsburg führt. Sie kommen an Villen vorbei, eine liegt hinter einem hohen verzinkten Metallzaun und immergrünem Buschwerk, aber so viel ist doch zu sehen, dass die Jalousien heruntergelassen sind. Berndorf nickt. Genugtuung? Er weiß es nicht. Aber das ist eine andere Geschichte.
Am Morgen hat er sich einen Wagen gekauft, einen gebrauchten Kombi, denn er wird in den kommenden Monaten viel unterwegs sein. Vor allem zwischen Ulm und Berlin, vorausgesetzt, Barbara und er finden eine größere Wohnung oder doch noch ein Haus … Jedenfalls hat er einen Wagen gefunden, dem noch einige zehntausend Kilometer zuzutrauen sind. Der Händler hat ihm zugesagt, noch am gleichen Tag die Zulassung zu besorgen, am späten Nachmittag würde er das Fahrzeug abholen können.
Bis dahin sind es noch gut zwei Stunden. Berndorfs Weg führt ihn in die Stadt hinab, aus dem Villenviertel kommt er in ein Quartier, in dem die Häuser noch immer gutbürgerlich sind, aber eben keine Villen. Dass Johannes Rübsam hier seine Dienstwohnung hat, fällt ihm nicht nur zufällig ein. In den letzten Monaten hat sich ergeben, dass er dort gelegentlich eine Partie Schach gespielt hat; außerdem ist Verena Rübsam eine
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