Der Hund des Propheten: Roman (German Edition)
ich gar nicht«, antwortet Rübsam, »ob Gott das tut.«
Berndorf hat sich wieder den Rosenstöcken zugewendet. »Der Verblichene war ein wenig nachlässig bei der Vorbereitung der sonntäglichen Predigten, wie?«
»Sicher nicht«, sagt Rübsam. »Wilhelm Hartlaub hatte einen Ruf als gewaltiger Prediger des HErrn. Sein Gott war übrigens der Gott, der Eisen wachsen ließ. Und all so was. In den Dreißigerjahren gehörte er der Landessynode an, war dort sogar einer der Wortführer der Deutschen Christen.«
Berndorf sammelt ein Bündel dorniges Holz auf und verstaut es in einem der blauen Säcke, die ihm Rübsam hinhält.
»Für einen solchen Prediger hätte sich damals doch ein Gotteshaus finden lassen müssen, das mehr hermacht als die Dorfkirche von Lauternbürg?«, fragt er dann. »Nicht gerade den Dom von Quedlinburg, aber irgendetwas in der Art …« »Sie werden lachen«, antwortet Rübsam. »Oder auch nicht. Man hat das Ulmer Münster für ihn gefunden. Das muss sich hinter Quedlinburg nicht verstecken.«
»Er war Münsterpfarrer?«
»Für ein paar Wochen war er Prälat in Ulm. Eben hier, wohin sein Sohn jetzt berufen worden ist. Nur für ein paar Wochen, aber er war es. Dann haben der Landesbischof und der Kirchenausschuss, denen Hartlaub senior von den Heil-Hitler-Christen aufgezwungen worden war, die Justiz eingeschaltet und vor dem Stuttgarter Landgericht sogar Recht bekommen. « Rübsam bindet den Plastiksack zu. »Komisch eigentlich«, fährt er fort. »Das Dritte Reich war bereits fest etabliert. Trotzdem hat es Gerichte gegeben, die damals noch gegen die Nazis entschieden haben.«
»Wäre der Bischof ein Jud’ gewesen«, meint Berndorf, »hätte Ihr Amtsbruder wohl Prälat bleiben dürfen bis zum Endsieg. Mindestens.«
»Ihr Späßchen zum Tage?«, fragt Rübsam.
Berndorf zieht ein wenig die Augenbrauen hoch. Ich weiß durchaus, denkt er, welches Datum wir haben. Am Abend wird eine Gedenkfeier auf dem Weinhof stattfinden, dort, wo am 9. November 1938 die Synagoge niedergebrannt wurde und die Großväter der heutigen Ulmer ihre jüdischen Nachbarn im Brunnen haben Spießruten laufen lassen. Später log man sich darauf hinaus, die Täter seien SA-Leute aus dem Oberschwäbischen gewesen.
»Ein Späßchen?«, fragt er zurück. »Kaum. Dass der Sohn ausgerechnet an die Kirche berufen werden soll, die die Nazis dem Vater zugedacht hatten, ist schon eher eines. Wird das in Ihrer Kirche nicht als peinlich empfunden?«
»Wo denken Sie hin! Wir können doch keine Sippenhaft zulassen«, antwortet Rübsam. »Es ist sogar so, dass Guntram Hartlaub eben deshalb gewählt worden ist. Sie kennen doch die Geschichte von Marielouise, seiner Frau, die sich mit den Posaunisten angelegt hat? Natürlich kennen Sie sie, Sie saßen ja daneben… Man legt sich aber nicht mit den Posaunenchören an, nicht in unserer Kirche, und um ein Haar wäre Guntram nicht gewählt worden, hätte nicht unser Prälat bei Jeremia nachgeschlagen und dort die Verheißung gefunden, dass den Kindern nicht die Zähne stumpf werden sollen, nur weil die Väter Herlinge gegessen haben …«
»Heringe?«, fragt Berndorf nach.
»Herlinge«, korrigiert ihn Rübsam. »Saure oder unreife Trauben. Luther-Deutsch. Und der Prälat hatte tatsächlich mich ausgeguckt, um den Synodalen damit zu wedeln. Sehr ehrenvoll. Aber ich habe dankend abgelehnt.«
»Herlinge ist ein schönes Wort«, meint Berndorf. »Trotzdem kann ich Ihnen gerade nicht ganz folgen.«
»Der Prälat spielte über die Bande«, erklärt Rübsam. »Glücklicherweise hatte er zuvor wohl noch einige andere Leute munitioniert, und so hat schließlich ein Kirchengemeinderat aus der Luthergemeinde, ein arbeitsloser Historiker und Veteran der Friedensbewegung, der braunen Katze die Schelle umgebunden und das Wirken von Hartlaub senior zur Sprache gebracht. Arbeitslose Historiker und Veteranen der Friedensbewegung stellen für die Mehrheit unserer Synodalen ein noch aufreizender rotes Tuch dar als meine Wenigkeit. Und in dieser Stadt wie anderswo will niemand mehr so genau wissen, wovon die Väter und Großväter sich damals ihren fürchterlichen Durchfall geholt haben. Jedenfalls hat sich die Mehrheit des Wahlausschusses mit Abscheu und Empörung dagegen verwahrt, wegen des Vaters Hartlaub stumpfe Zähne bekommen zu sollen, und damit das auch jedermann ins Stammbuch geschrieben werden konnte, musste Guntram Hartlaub ganz einfach gewählt werden, was immer seine Frau Marielouise sich
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