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Der Hund des Todes

Der Hund des Todes

Titel: Der Hund des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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sanft.
    »Geist?« Der Arzt lächelte merkwürdig. »Was meint ihr Kleriker eigentlich mit Geist? Ihr habt das niemals klar definiert, wissen Sie. Durch die ganzen Jahrhunderte hindurch habt ihr euch um eine exakte Erklärung herumgedrückt.«
    Der Domherr räusperte sich, um seine Antwort vorzubereiten, doch zu seinem Ärger wurde ihm keine Gelegenheit dazu gegeben.
    Der Arzt fuhr fort: »Sind wir überhaupt sicher, dass es Geist und nicht vielmehr Geister heißen muss?«
    »Geister?« fragte Sir George Durand mit hochgezogenen Augenbrauen.
    »Ja.« Campbell Clark warf ihm unwillkürlich einen Blick zu. Er beugte sich vor und tippte dem anderen auf die Brust. Er sagte ernst: »Sind Sie sicher, dass in dieser Struktur nur ein einziger sitzt? Das ist doch der Körper, wie Sie wissen; eine begehrenswerte Residenz, die man möblieren muss – für sieben, einundzwanzig, einundvierzig, siebzig oder wie viel Jahre auch immer. Und am Ende schafft der Bewohner die Sachen hinaus – nach und nach –, dann geht alles aus dem Haus heraus… und das Haus verkommt, wird eine Stätte des Ruins, des Verfalls. Sie sind der Herr des Hauses – wir werden das zugeben. Aber waren Sie sich niemals der Anwesenheit anderer bewusst? Der leise auftretenden Diener, die man nur bemerkt an der Arbeit, die sie leisten – und deren Erledigung Ihnen niemals bewusstwurde? Oder der Freunde, mit ihren Stimmungen, die Sie für die Zeit ihrer Anwesenheit, wie man so sagt, zu einem anderen machten? Sie sind der König im Schloss, ganz richtig, aber seien Sie davon überzeugt, der Teufel ist auch drin.«
    »Mein lieber Clark«, grunzte der Rechtsanwalt, »was Sie da sagen, verursacht mir ein äußerst unangenehmes Gefühl. Ist mein eigenes Wesen wirklich das Schlachtfeld einander bekämpfender Persönlichkeiten? Ist das der Wissenschaft letzter Schluss?«
    Jetzt war es an dem Arzt, die Achseln zu zucken.
    »Ihr Körper jedenfalls«, sagte er trocken. »Und wenn der Körper so ein Schlachtfeld ist, warum nicht auch der Geist?«
    »Sehr interessant«, sagte der Domherr Parfitt, »eine großartige Wissenschaft.« Für sich dachte er, aus dem Gedanken kann ich eine aufsehenerregende Predigt machen…
    Dr. Campbell Clark hatte sich in seine Polster zurückgelehnt, seine momentane Aufregung war verflogen. In trockenem Berufston bemerkte er: »Es ist jedenfalls eine Tatsache, dass ich heute Abend wegen eines Falles von Persönlichkeitsspaltung nach Newcastle fahre. Sehr interessanter Fall. Natürlich eine Art Nervenkrankheit, aber ziemlich ernst.«
    »Persönlichkeitsspaltung«, wiederholte Sir George Durand gedankenvoll. »Das ist nicht allzu selten, glaube ich. Es gibt auch so etwas wie Gedächtnisschwund, nicht wahr? Ich erinnere mich an einen Fall, den wir neulich im Erbschaftsgericht hatten.«
    Dr. Clark nickte.
    »Ein klassischer Fall dafür war der von Felicie Bault«, sagte er. »Sie werden bestimmt davon gehört haben.«
    »Natürlich«, entgegnete der Domherr Parfitt. »Ich erinnere mich, in den Zeitungen darüber gelesen zu haben – aber das ist schon eine ganze Weile her, mindestens sieben Jahre.«
    Dr. Campbell nickte.
    »Dieses Mädchen wurde in Frankreich sehr bekannt. Wissenschaftler aus der ganzen Welt kamen zu ihr, um sie zu sehen. Sie hatte nicht weniger als vier verschiedene Persönlichkeiten. Sie wurden bekannt als Felicie 1, Felicie 2, Felicie 3 und so weiter.«
    »Nahm man nicht auch dabei vorsätzlichen Betrug an?« fragte Sir George lebhaft.
    »Die Verschiedenartigkeit der Persönlichkeiten von Felicie 3 und Felicie 4 war ein bisschen anzweifelbar«, gab der Arzt zu. »Aber die wesentlichen Tatsachen bleiben. Felicie Bault war ein Bauernmädchen aus der Normandie. Sie war das dritte von fünf Kindern, die Tochter eines Säufers und einer geistig nicht gesunden Mutter. Während eines seiner Saufgelage erwürgte der Vater die Mutter und wurde daraufhin, soweit ich mich entsinnen kann, lebenslänglich eingesperrt. Felicie war damals fünf Jahre alt. Mitleidige Leute kümmerten sich um die Kinder, und Felicie wurde von einer unverheirateten englischen Adeligen aufgenommen und erzogen. Die Dame hatte eine Art Heim für notleidende Kinder. Sie konnte mit Felicie wenig anfangen. Sie beschrieb das Mädchen als anomal langsam und dumm, dem man nur mit allergrößter Mühe Lesen und Schreiben beibringen konnte und dessen Hände ungeschickt seien. Diese Dame, Miss Slater, versuchte, aus dem Mädchen eine Hausgehilfin zu machen. Sie fand auch

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