Der Hund des Todes
herausgestellt hatte, war Mrs Harters Aufmerksamkeit auf den Neffen gefallen. Ja, Charles hatte von Anfang an gut eingeschlagen. Er behandelte seine Tante ehrerbietig, er hörte mit scheinbar intensivem Interesse den Erinnerungen aus ihrer Jugend zu. Ein großer Unterschied zu Miriam, die sich nicht nur gelangweilt, sondern das auch unverblümt gezeigt hatte. Charles war zudem niemals langweilig, immer gut gelaunt und fröhlich. Täglich ließ er seine Tante viele Male wissen, dass sie eine wunderbare alte Dame sei.
Mit ihrer neuen Entdeckung höchst zufrieden, hatte Mrs Harter ihrem Notar neue Direktiven erteilt, wie ihr Testament abgeändert werden sollte. Dies war geschehen; das Testament war abgeändert worden, sie hatte es geprüft und unterzeichnet.
Und jetzt, sogar im Falle des Radioapparates, schien sich Charles neue Lorbeeren verdient zu haben.
Mrs Harter, zuerst ganz Ablehnung, interessierte sich schließlich immer mehr für das Radio. Besondere Freude machte ihr der Apparat, wenn Charles nicht da war. Das Lästige an Charles war, dass er das Radio nicht in Ruhe lassen konnte. Mrs Harter setzte sich am liebsten gemütlich in ihren Sessel und lauschte einem einzigen Sender, gleichgültig, ob er nun ein Symphoniekonzert oder den Lebensbericht der Lucrezia Borgia oder Wasserstandsmeldungen brachte… Sie war ruhig und glücklich, in Frieden mit sich und der Welt.
Charles schaffte das nicht. Er musste ständig an irgendwelchen Knöpfen drehen, und der klare Klang wurde durch quietschende und heulende Töne zerrissen, während er ruhelos versuchte, ausländische Sender »hereinzubekommen«. Aber an den Abenden, an denen Charles bei Freunden eingeladen war, genoss Mrs Harter ihr neues Radio. Sie brauchte nur einen Knopf, um sich, behaglich in ihrem Sessel zurückgelehnt, am Programm zu erfreuen.
Drei Monate, nachdem der Radioapparat angeschlossen worden war, geschah das Geheimnisvolle zum ersten Mal. Charles war zu einem Bridgeabend zu Bekannten gegangen.
Das Abendprogramm brachte Balladen. Eine bekannte Sopransängerin sang »Annie Laurie«, und in der Mitte des Liedes geschah das Seltsame. Zuerst war der Sender weg, dann hörte man einen Moment lang Musik, gleich darauf heftiges Brummen und Quieken, das eine Weile anhielt und dann erstarb. Tödliche Stille war eingetreten. Anschließend war wieder leises Brummen zu hören gewesen.
Mrs Harter hatte die Empfindung gehabt, als höre sie »Sphärenmusik«. Dann plötzlich – klar und deutlich hatte sie eine Stimme, eine Männerstimme mit irischem Akzent, gehört!
»Mary – kannst du mich hören, Mary? Hier ist Patrick… Komm bald zu mir! Du bist doch bereit, nicht wahr, Mary?« Daran anschließend hatten wieder die Klänge von »Annie Laurie« das Zimmer gefüllt.
Mrs Harter saß noch immer aufrecht in ihrem Sessel, die Hände um beide Armlehnen geklammert. Hatte sie geträumt? – Patrick! Patricks Stimme hatte, hier in diesem Zimmer, zu ihr gesprochen… Nein, das musste ein Traum sein, vielleicht eine Halluzination. Vielleicht war sie für ein oder zwei Minuten eingeschlafen. Eine komische Sache, so etwas zu träumen – dass ihr verstorbener Mann über den Äther zu ihr gesprochen haben sollte… Sie hatte sich sehr erschreckt. Was hatte er doch gesagt? »Komm bald zu mir! Du bist doch bereit, nicht wahr, Mary?« Das konnte doch nur eine Vorahnung sein… Herzschwäche… ihr Herz. Schließlich war sie ja nicht mehr die Jüngste.
»Es ist eine Vorahnung, jawohl, das ist es«, sagte Mrs Harter, erhob sich langsam und müde aus ihrem Sessel und fügte etwas hinzu, das für sie charakteristisch war: »Und das schöne Geld für den Lift zum Fenster hinausgeschmissen!«
Sie sprach mit niemandem über das, was sie gehört hatte, aber in den darauffolgenden Tagen war sie voller Gedanken und ständig geistesabwesend.
Dann kam der Geburtstag ihres Mannes… Wieder war sie allein zuhause. Das Radio, das soeben noch Orchestermusik gebracht hatte, erstarb mit derselben Plötzlichkeit wie beim letzten Mal. Wieder herrschte einen Moment lang unheimliche Stille, das Gefühl des Überirdischen, und schließlich wieder Patricks Stimme, doch diesmal nicht, wie sie im Leben gewesen war – nein, viel feiner, weit weg, mit einem merkwürdigen Klang.
»Patrick spricht zu dir, Mary. Komm jetzt bald …!«
Dann Quietschen, Brummen, und die Orchestermusik war wieder da, als sei nichts geschehen. Mrs Harter sah auf die Uhr. Nein, sie hatte nicht geschlafen, diesmal
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