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Der Hund des Todes

Der Hund des Todes

Titel: Der Hund des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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ein anderes Geräusch – deutlich hörbar, unmissverständlich: herzzerreißende kleine Schluchzer.
    Er bekam auch bald heraus, dass er nicht der einzige war, der dies hörte. Er kam hinzu, wie das Dienstmädchen zum Stubenmädchen sagte, dass sie glaube, das Kindermädchen sei nicht gut zum kleinen Geoffrey, denn sie hätte gehört, wie schrecklich er heute Morgen geweint habe. Später kam Geoffrey zum Frühstück und zum Mittagessen herunter, strahlend vor Gesundheit und Glück. Und Mr Winburn wusste, dass es nicht Geoff gewesen sein konnte, den das Dienstmädchen weinen gehört hatte, sondern das andere Kind, dessen schleppende Schritte ihn eben mehr als einmal hatten hochfahren lassen.
    Nur Mrs Lancaster hörte nichts. Ihre Ohren waren vielleicht nicht empfänglich für Geräusche aus einer anderen Welt. Doch eines Tages erhielt auch sie einen Schock.
    »Mami«, sagte Geoffrey mit kläglicher Stimme. »Ich möchte, dass du mich mit dem kleinen Jungen spielen lässt.«
    Mrs Lancaster sah mit einem Lächeln von ihrem Schreibtisch auf.
    »Mit was für einem Jungen denn, mein Liebling?«
    »Ich weiß nicht, wie er heißt. Er war auf dem Speicher, er saß da auf dem Fußboden und weinte, aber er rannte weg, als er mich sah. Ich glaube, er ist sehr scheu« – ein Schimmer von Zufriedenheit huschte dabei über Geoffreys Gesichtchen –, »nicht wie ein richtiger Junge; und dann, als ich im Spielzimmer war, habe ich ihn wieder gesehen. Er stand in der Tür und sah mir zu, wie ich mit den Bauklötzen spielte, dabei sah er so schrecklich allein aus und so, als ob er mit mir spielen wollte. Ich habe gesagt: ›Komm und bau eine Lokomotive.‹ Aber er sagte nichts, er schaute nur so. Weißt du, Mami – als ob er ganz viel Schokolade sähe, aber seine Mami ihm verboten hätte, davon zu nehmen.«
    Geoffrey seufzte tief, traurige persönliche Erinnerungen aus seinem Kinderleben erfüllten ihn.
    »Und dann hab ich Jane gefragt, wer das wäre, und ich habe ihr gesagt, dass ich mit ihm spielen möchte. Da hat sie geantwortet, es sei gar kein kleiner Junge im Haus, und ich solle kein dummes Zeug reden… Ich mag Jane nicht.«
    Mrs Lancaster stand auf.
    »Jane hat aber Recht. Es gibt hier keinen kleinen Jungen.«
    »Aber ich habe ihn doch gesehen. O Mami, lass mich doch mit ihm spielen, er sah so schrecklich allein aus und so unglücklich. Ich will, dass er sich wohler fühlt.«
    Gerade wollte Mrs Lancaster wieder etwas sagen, als ihr Vater den Kopf schüttelte.
    »Geoff«, sagte er sanft. »Dieser arme kleine Junge ist allein. Vielleicht kannst du etwas tun, damit er sich wohler fühlt; aber wie, das kannst nur du selber herausfinden – wie in einem Puzzlespiel, verstehst du?«
    »Du meinst, weil ich jetzt schon so groß b in, kann ich das ganz allein?«
    »Ja, weil du jetzt schon so groß bist.«
    Als der Junge aus dem Zimmer gegangen war, wandte sich Mrs Lancaster ungeduldig ihrem Vater zu.
    »Papa, das ist doch wirklich absurd. Du bestätigst dem Jungen das, was er von den Dienstmädchen hört?«
    »Kein Dienstmädchen hat dem Kind etwas erzählt«, sagte der alte Mann freundlich. »Er hat nur gesehen, was ich nur gehört habe – was ich vielleicht selber gesehen hätte, wenn ich noch in seinem Alter wäre.«
    »Aber das ist doch ein kompletter Unfug! Warum höre oder sehe ich denn nichts?«
    Mr Winburn lächelte, ein merkwürdiges müdes Lächeln, aber er antwortete nichts.
    »Warum?« wiederholte seine Tochter. »Und warum hast du ihm auch noch gesagt, er könnte diesem – diesem Gespenst helfen? Das ist doch – das ist doch unmöglich.«
    Der alte Mann sah sie freundlich und nachdenklich an.
    »Warum nicht?« sagte er. »Hast du das kleine Gedicht vergessen?
     
    › Welche Lampe hat die Bestimmung, ihre kleinen Kinder, die im Dunkeln irren, zu führen? Ein sechster Sinn, antwortete der Himmel. ‹
     
    Geoffrey hat ihn – den ›sechsten Sinn‹. Alle Kinder haben ihn. Wenn wir erwachsen werden, verlieren wir ihn, das heißt, wir werfen ihn fort. Wenn wir dann wieder ganz alt werden, kommt manchmal ein schwacher Abglanz davon zurück. Aber diese Lampe leuchtet in der Kindheit am hellsten.«
    »Ich verstehe kein Wort«, murmelte Mrs Lancaster.
    »Alles verstehe ich auch nicht. Nur eines habe ich verstanden, dass hier ein Kind tiefen Kummer hat und sich nur eines wünscht – davon befreit zu werden. Aber wie? Ich weiß es nicht, aber es ist schrecklich, es zu wissen. Das Kind schluchzt sich das Herz aus dem

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