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Der Hund des Todes

Der Hund des Todes

Titel: Der Hund des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Harter schwieg. Sie war völlig verwirrt. Dieses Fenster gehörte zum Ankleidezimmer ihres Mannes.
    Einige Tage später ging Charles wieder aus. Mrs Harter saß allein vor dem Radio. Heute war der Todestag ihres Mannes, und ihre Gedanken waren weit weg – genauer gesagt: im Jenseits. Dabei war es mehr als natürlich, dass sie sich wieder eine Verbindung mit Patrick wünschte.
    Obgleich ihr Herz schnell schlug, war sie nicht überrascht, als sich dasselbe Brummen wieder einstellte, die schon bekannte Unterbrechung eintrat und nach einer Pause mit absoluter Stille die schwache, weit entfernte Stimme ihres Mannes zu ihr sprach:
    »Mary – bist du jetzt fertig? Am Freitag komme ich zu dir – am Freitag um halb zehn… Hab keine Angst, es tut nicht weh… Ich hole dich.«
    Bei den letzten Worten setzte die Orchestermusik wieder ein – laut und mit fröhlichen Rhythmen. Mrs Harter saß einige Minuten ganz still da. Ihr Gesicht war schneeweiß geworden, und die Lippen hatten sich bläulich verfärbt.
    Dann stand sie langsam auf und setzte sich an ihren Schreibtisch. Mit zittriger Handschrift schrieb sie folgende Zeilen:
     
    »Heute Abend um 21 Uhr 15 habe ich deutlich die Stimme meines verstorbenen Mannes gehört. Er sagte mir, dass er mich am Freitag um halb zehn zu sich holen wolle. Wenn ich an di e sem Tage und zu dieser Stunde sterben sollte, möchte ich, dass diese Tatsache bekannt gegeben wird – als eindeutiger Beweis d a für, dass Verbindungen mit der Totenwelt möglich sind. – Mary Harter.«
     
    Mrs Harter las es noch einmal durch, steckte den gefalteten Bogen in einen Umschlag und adressierte ihn. Dann drückte sie die Klingel. Elizabeth erschien prompt. Mrs Harter stand von ihrem Schreibtisch auf und überreichte ihr den Brief.
    »Elizabeth«, sagte sie, »falls ich am Freitag sterben sollte, möchte ich, dass Sie das Dr. Meynell geben. Nein« – Elizabeth machte Anstalten zu protestieren –, »streiten Sie nicht mit mir herum. Sie haben mir selber oft genug gesagt, dass Sie an Vorahnungen glauben. Ich habe Ihnen in meinem Testament fünfzig Pfund vermacht. Ich will, dass Sie hundert erhalten. Wenn ich nicht mehr selber zur Bank gehen kann, bevor ich sterbe, wird Mr Charles das erledigen.«
    Wie vorher schnitt Mrs Harter Elizabeth’ tränenreiche Protestrede ab. Über ihren Entschluss sprach Mrs Harter am nächsten Morgen mit ihrem Neffen.
    »Bitte, denke daran, Charles. Falls mir etwas zustoßen sollte, will ich, dass Elizabeth fünfzig Pfund extra erhält.«
    »Seit ein paar Tagen siehst du richtig finster drein, Tante Mary«, sagte Charles sorgenvoll. »Was ist denn los? Nach dem, was Dr. Meynell sagt, werden wir in zwanzig Jahren deinen hundertsten Geburtstag feiern.«
    Mrs Harter lächelte ihm liebevoll zu, aber sie antwortete nicht. Nach ein paar Minuten fragte sie: »Was hast du am Freitag vor, Charles?«
    Der machte ein verdutztes Gesicht.
    »Um ehrlich zu sein, die Ewings haben mich gebeten, mit ihnen Bridge zu spielen. Aber wenn es dir lieber ist, bleibe ich natürlich zuhause.«
    »Nein«, sagte Mrs Harter mit Bestimmtheit. »Gewiss nicht, Charles. Du kannst am Freitag gern zusagen, ich möchte am liebsten allein sein.«
    Charles sah sie stirnrunzelnd an, aber Mrs Harter gab keine weitere Erklärung. Sie war eine mutige und sehr bestimmte alte Dame. Sie wusste, dass sie ihre letzte Erfahrung allein machen musste.
    Am Freitag war das Haus ganz still. Mrs Harter saß am Abend wie gewöhnlich in ihrem hohen Lehnsessel vor dem Kamin. Sie hatte alle Vorbereitungen abgeschlossen.
    Am Morgen war sie noch zur Bank gegangen, hatte fünfzig Pfund in Scheinen abgehoben und sie Elizabeth überreicht, trotz tränenreicher Proteste. Dann hatte Mrs Harter ihre persönlichen Wertsachen sortiert und das eine und andere Schmuckstück mit Namen von Freunden und Verwandten versehen. Sie hatte auch eine Liste mit Instruktionen für Charles aufgeschrieben. Ihr Worcester-Teeservice sollte ihre Kusine Emma erhalten. Die Kristallgläser sollte der junge William bekommen und so weiter.
    Jetzt blickte sie auf das schmale Kuvert, das sie in der Hand hielt, und zog ein gefaltetes Dokument heraus. Es war ihr Testament, das ihr Mr Hopkinson auf ihren Wunsch geschickt hatte. Sie hatte es bereits sorgfältig durchgelesen; jetzt sah sie es nochmals durch, um ihr Gedächtnis aufzufrischen. Es war ein kurzes, klares Dokument. Ein Vermächtnis von fünfzig Pfund für Elizabeth Marshall als Anerkennung für ihre treuen

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