Der Hund des Todes
bestimmt nicht. Wach und im vollen Besitz ihrer Sinne hatte sie Patricks Stimme gehört. Es war keine Halluzination, das war sicher. Verwirrt versuchte sie sich an die Theorie zu erinnern, die Charles ihr von den Ätherwellen erklärt hatte.
Konnte es möglich sein, dass Patrick wirklich zu ihr gesprochen hatte? Dass seine Stimme wirklich durch den Raum getragen werden konnte? Gewisse Wellenlängen seien noch nicht erforscht, hatte Charles gesagt und von einer Lücke in der Wellenskala gesprochen. Sie war überzeugt, dass Patrick zu ihr gesprochen hatte. Er wollte sie offenbar auf das vorbereiten, was bald kommen musste.
Mrs Harter läutete nach ihrer Haushälterin Elizabeth. Sie war eine große hagere Sechzigerin. Unter einer mürrischen Schale verbarg sie tiefe Zuneigung für ihre Herrin.
»Elizabeth«, sagte Mrs Harter, als ihre Perle erschienen war, »Sie erinnern sich doch, was ich Ihnen gesagt habe. Die oberste Schublade meines Schreibtisches? Sie ist verschlossen. Der lange Schlüssel mit dem weißen Etikett passt dazu. Darin liegt alles. Ich habe alles vorbereitet.«
»Vorbereitet? Was, Mrs Harter?«
»Für mein Begräbnis«, fauchte Mrs Harter. »Sie wissen sehr wohl, was ich meine, Elizabeth. Sie haben mir selbst dabei geholfen, alles in der Schublade zu verstauen.«
In Elizabeth’ Gesicht begann es merkwürdig zu arbeiten.
»O gnädige Frau«, wimmerte sie, »so was dürfen Sie nicht sagen. Ich dachte, Sie hätten sich wieder besser gefühlt.«
»Irgendwann müssen wir alle gehen«, knurrte Mrs Harter ärgerlich. »Alt genug bin ich schließlich. Also, Elizabeth, machen Sie sich nicht lächerlich. Wenn Sie unbedingt flennen wollen, gehen Sie hinaus und heulen Sie anderswo.«
Elizabeth zog sich zurück, unterdrückt schluchzend. Mrs Harter sah ihr liebevoll nach. Alte Gans, aber treu, dachte sie. Sehr treu. Ich muss mal überlegen – habe ich ihr nun hundert Pfund vermacht oder nur fünfzig? Jedenfalls sollten es hundert sein. Sie hat mich lange Zeit gut versorgt.
Diese Frage beschäftigte die alte Dame, und am nächsten Tag setzte sie sich an ihren Schreibtisch und schrieb ihrem Notar, er möchte ihr das Testament noch einmal zuschicken. Sie wolle es noch einmal überprüfen. Noch an demselben Tag geschah es, dass Charles beim Abendessen etwas sagte, das sie aufhorchen ließ.
»Übrigens, Tante Mary«, fragte er, »wer ist eigentlich der komische Alte oben im Gästezimmer? Ich meine das Bild über dem Kamin… Der Alte mit dem Biberhut und dem altmodischen Backenbart?«
Mrs Harter sah ihn streng und tadelnd an. »Das ist dein Onkel Patrick als junger Mann«, antwortete sie.
»O Tante Mary, das tut mir leid. Ich wollte nicht taktlos sein.«
Mrs Harter akzeptierte die Entschuldigung mit einem würdevollen Neigen ihres Kopfes.
Charles fuhr reichlich unsicher fort: »Ich habe mich nur gewundert, weißt du…«
Er hielt unentschlossen inne, und Mrs Harter fragte scharf:
»Was wolltest du sagen?«
»Ach, nichts«, entgegnete Charles hastig, »jedenfalls nichts Vernünftiges.«
Eine Weile gab die alte Dame Ruhe, aber später am Abend kam sie noch einmal darauf zurück.
»Charles, ich möchte, dass du mir sagst, warum du mich nach dem alten Bild deines Onkels gefragt hast.«
Charles machte ein betretenes Gesicht.
»Aber ich sagte dir doch, Tante Mary, es ist nichts weiter – vielleicht eine dumme Einbildung meinerseits, völlig absurd.«
»Charles«, forderte jetzt Mrs Harter gebieterisch, »ich bestehe darauf, es zu erfahren.«
»Nun gut, liebe Tante, wenn du unbedingt darauf bestehst. Ich habe mir eingebildet, ihn gesehen zu haben – den Mann auf dem Bild, meine ich. Er sah aus dem Fenster ganz rechts, als ich gestern Abend nachhause kam. Wahrscheinlich war es ein Lichteffekt. Ich fragte mich, wer es wohl sein könnte? Sein Gesicht war so – viktorianisch, wenn du verstehst, was ich damit sagen will. Aber Elizabeth sagte mir, es sei niemand da, kein Besucher oder Gast im Haus. Ich kam dann zufällig ins Gästezimmer und sah dort das Bild über dem Kamin. Es war der Mann, den ich zuvor am Fenster gesehen hatte. Ich glaube, das lässt sich ganz einfach erklären – mit Unterbewusstsein oder so etwas. Wahrscheinlich habe ich das Bild vorher schon einmal gesehen, ohne mir dessen bewusstgeworden zu sein, und nun habe ich mir eingebildet, das Gesicht am rechten Fenster wiedererkannt zu haben.«
»Am rechten Fenster, sagst du?« fragte Mrs Harter scharf.
»Ja, warum?«
»Nichts.«
Mrs
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