Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hundeknochen

Der Hundeknochen

Titel: Der Hundeknochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
Vom Netzwerk:
Wahrscheinlich eine Hundepfeife, die so eingestellt war, daß sie das menschliche Ohr kaum wahrnehmen konnte. Dann hörte ich, sehr deutlich, ein anderes Geräusch, hatte aber keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, was es war.
    Noch im Umdrehen riß ich den Fuß hoch. Der Hund war schon in der Luft. Seine Zähne gruben sich in den Stiefelschaft, zwanzig Kilo Muskeln versuchten, mich zu Boden zu reißen. Ich hämmerte mit dem Schuhkarton auf den Hundekopf. Ich hätte ihn genausogut streicheln können. Pitbull Terrier, denn um diese Rasse handelte es sich, ließen allenfalls los, wenn man ihnen mit einer Brechstange den Schädel zertrümmerte. Oder wenn der Herr pfiff und das Tier gut ausgebildet war. Der Gefleckte jedenfalls ließ meinen Stiefel los, allerdings nur, um einen neuen Angriff zu starten. Inzwischen war mir klar geworden, daß es sich um ein Exemplar handelte, das zum Kampfhund abgerichtet worden war. Ein zweites Mal würde ich die Bestie nicht mit dem Fuß abwehren können.
    Der Pitbull drehte auf der Stelle, nahm Anlauf, hob die Lefzen. Meine Hand fuhr zum Stiefelschaft. Ich machte zwei Schritte rückwärts. Als meine Schulter die Hausmauer berührte, setzte er zum Sprung an. In der Linken hielt ich noch immer den Schuhkarton, in der Rechten das Messer, die Spitze nach unten.
    Als der Hund vom Boden abfederte, ließ ich den Karton fallen und unterstützte mit der linken Hand mein rechtes Handgelenk. Der Pitbull Terrier zielte auf meine Kehle. Und er kam ihr sehr nahe, so nahe, daß ich seinen Atem roch und seinen Geifer im Gesicht spürte. Zum Glück war das Messer zwischen uns. Durch den Anprall hatte er sich die Klinge selbst in die Brust gerammt.
    Ausgebildete Pitbull Terrier sind eine wirksame Waffe. Aber der Hund, der jetzt mit einem gurgelnden Laut an mir hinunterglitt, war keine Waffe mehr, würde nie mehr eine sein. Das mußte auch sein Besitzer bemerkt haben; er gab Gas. Ich schaute seinem Wagen nach, der mit singenden Reifen, ohne Licht um die Ecke bog. Eine große dunkle Limousine, mehr konnte ich nicht erkennen.

13.
     
     
     
    Der Karton mit den Turnschuhen hatte nicht viel abgekriegt, ich jedoch eine ganze Menge. An meinem Hinterkopf wuchs eine Beule, die von dem Anprall gegen die Hausmauer herrührte. Mein rechter Fuß schmerzte. Der Stiefel war von den Fängen des Pitbull Terriers durchlöchert, aber noch brauchbar.
    Ich wischte mir mit dem Jackenärmel die Blutspritzer aus dem Gesicht, rieb meine Hände trocken und schleifte das Tier an seinem Halsband auf das verwilderte Grundstück.
    Dabei sah ich mir den Hund genauer an. Ich erkannte ihn wieder. Die markanten Flecken an den Augen ließen keinen Zweifel. Das erste Mal, als ich den Pitbull gesehen hatte, war ja noch nicht so lange her. Damals saß er auf dem Tank eines Motorrads, und ich hatte ihn drollig gefunden. Jetzt tat er mir leid, von Haß keine Spur; schließlich hatte er nur das getan, wozu er abgerichtet worden war.
    Beim Lösen des Halsbandes – es war mit allerlei Glitzerzeug besetzt – spähte ich zu den Fenstern in der Nachbarschaft. Zu sehen war niemand. Das Ganze hatte sich innerhalb von wenig mehr als einer Minute und beinahe lautlos abgespielt. Dennoch war ich überzeugt, daß einige Anwohner den Kampf verfolgt hatten. Aber in dieser Gegend hatten die Menschen noch weniger Lust als anderswo, sich in fremde Angelegenheiten zu mischen. Mir war es recht.
    Auf dem restlichen Fußweg zum Wohnbunker brachte ich meinen Atem unter Kontrolle. Dann schellte ich bei Familie Wieczorek.
    Jonni öffnete mir die Tür, ich gab ihm den Karton. Die Schuhe paßten ihm wie angegossen. Seine Augen leuchteten. Farbe, Material, Marke – alles gefiel ihm.
    »Mach sie ein bißchen schmutzig«, riet ich ihm. »Sonst wird man dich auf dem Schulweg in eine Ecke drängen, und sie sind weg.«
    Die Mutter des Jungen hatte Spätschicht. Jonni war mit seiner Großmutter allein. Verglichen mit meinem ersten Besuch, erschien mir die alte Frau völlig verändert. Sie bot mir nichts zu trinken an, stellte mir nicht einmal einen Stuhl hin. Jede ihrer Bewegungen verriet, daß sie nur darauf wartete, daß ich wieder ging.
    Ich fing ihren Blick ein. »Hatten Sie Besuch von Fremden?« ließ ich den Jungen ins Polnische übersetzen.
    »Nein, kein Besuch, niemand«, beteuerte sie. An ihrem Lächeln, halb ängstlich, halb mißtrauisch, erkannte ich die richtige Antwort.
    Ich wollte sie nicht länger quälen. Jonni, der durch den Tod seines Vaters in eine

Weitere Kostenlose Bücher