Der Hundeknochen
der rettende Gedanke, mich klein zu machen. Und es klappte, ich schnurrte zusammen. Als ich die Größe eine Pingpongballs erreichte hatte, überwältigte mich neue Angst, nämlich die, von dem eifersüchtigen Spanier zertreten zu werden. Schon hob er den Fuß. Bei dem Geräusch, das wie das Zerbröseln von Zelluloid klang, schreckte ich hoch.
Als erstes griff ich zwischen meine Beine. Meine Hand fand, was sie suchte: eins und noch eins. Dann berührte ich Karlas warmen Körper neben mir, auch das beruhigte mich, und ich schlief wieder ein.
Lange bevor ich dann endgültig aufwachte, wußte ich, daß es schrecklich werden würde. Hämmern, Bohren, Stechen – in meinem Kopf herrschte Vollbeschäftigung. Zwischen meinen Augäpfeln und meinen geschlossenen Lidern hatte eine Baukolonne Sand geschichtet, hinter meinen Schläfen dröhnte eine Gesenkschmiede, und in meinem Magen wurde gerade ein neuer chemischer Kampfstoff entwickelt.
Ich öffnete versuchsweise ein Auge und schloß es gleich wieder, weil das Tageslicht mir den Schädel zu spalten drohte. Alle meine Körperzellen schrien: »Nie wieder! Nie wieder Alkohol!«
»Wie fühlst du dich?« rief Karla durch die offene Tür.
»Hervorragend«, krächzte ich.
Sie sah unverschämt frisch aus, hatte ihre Haare zu einem Zopf geflochten, trug Rock und Bluse und schwenkte in der Hand ein Badetuch. »Eine Runde Schwimmen?« schlug sie vor.
Vom Meer her wehte ein warmer Wind. Es war noch früh, der Strand lag verlassen, es roch nach Tang. Karla zog sich aus und rannte ins Wasser, ich tat es ihr nach. Im ersten Augenblick war es ein Schock. Dann aber empfand ich die Kälte, die den Alkoholdunst durchdrang, als angenehm.
Nach einigen Schwimmstößen entspannten sich meine Bauchmuskeln, die Haut begann zu prickeln, mein Kopf wurde frei. Ich tauchte, schwamm auf dem Rücken, schaute in die jagenden Wolken und dachte an rein gar nichts.
Fünf oder zehn Minuten lang ließ ich mich von den Wellen hinaustragen. Doch das Prinzip treibende Qualle im Weltmeer hielt nicht an. Mit den neuen Kräften kam die Erinnerung, warum ich mich betrunken hatte.
Ich schwamm zurück an Land und ließ mich neben Karla in die Sandkuhle fallen. Es gab keine schönere Ablenkung als ihren Körper. Sie hatte die Knie angewinkelt und tat, als schliefe sie. Ich leckte die kleinen Salzinseln von ihren Brüsten, leckte ihre Augen und Ohren, drehte sie auf die Seite, biß zart in ihren Nacken, schob, drängte.
Und während die Sonne meinen Rücken trocknete, holte ich nach, wozu ich in der Nacht nicht gekommen war. Schweigend, geredet hatte ich genug.
In Gedanken ließ ich die Schar möglicher Feinde an mir vorüberziehen: Karlas Mann, Werner Stoll, Inselbewohner, für die Stoll als Architekt tätig war – oder wem sonst hatte ich hier auf die Füße getreten?
Zwei Fischerboote tuckerten vorbei, weiter draußen zog eine Segeljacht, und dahinter, fast schon wieder eine Insel für sich, erhob sich die dunstblaue Küste des Kap Barbaria.
»Dauernd hast du über meine Schulter gespäht«, maulte sie hinterher. »Brauchst keine Angst zu haben, in diese Bucht kommen keine Touristen, das angeschwemmte Seegras stört sie.«
»Habe ich gestern eigentlich noch eine Menge Stuß geredet?«
Neben dem unvermeidlichen Kater am anderen Tag waren es peinliche Fragen dieser Art gewesen, die mich schon vor Jahren dazu gebracht hatten, mit dem Alkohol sparsamer umzugehen; nach dem tragischen Vorfall hatte ich dann ganz die Finger davon gelassen, bis auf gestern.
»Je später es wurde, desto mehr hast du dich darauf versteift, ein Privatdetektiv zu sein.«
»Da siehst du mal, wie fertig ich war. Ich vertrage nicht viel.«
»Du und Privatdetektiv!« Sie lachte. »Aber wie ein Sozialarbeiter siehst du auch nicht aus.«
»Wird das Aussehen etwa im Berufsbild festgelegt?«
»Ich meine doch nur. Für den Job siehst du ein bißchen zu schräg, zu verwildert und zu weltfremd aus.«
»Ja und? Genau dieses Aussehen ist für Helfer im sozialen Bereich so typisch wie Kordhose und Vollbart«, sagte ich hitzig.
»Ärgere dich doch nicht, Schlömm! Ich wollte dich nur aufziehen, weil du mich, bevor du ganz weggetreten bist, mit einer Judith verwechselt hast.« Sie ließ Sand in meinen Bauchnabel rieseln und fragte nebenbei, ein wenig zu nebenbei: »Wer ist eigentlich Gundula Stoll?«
Herrjeh! Was hatte ich in meinem Suffkopf wohl von meiner Klientin erzählt?
»Gundula Stoll, hm«, überlegte ich laut. »Moment, ja,
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