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Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Titel: Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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koreanische Halbinsel blieb mehr oder weniger übrig, als der Weltkrieg zu Ende war. Stalin und Truman besetzten brüderlich jeweils einen Teil und bestimmten den achtunddreißigsten Breitengrad zur Grenze zwischen Nord und Süd. Danach wurde ewig verhandelt, inwiefern Korea sich selbst regieren dürfe, doch da die politischen Anschauungen von Stalin und Truman nicht ganz übereinstimmten (eigentlich überhaupt nicht), endete es ungefähr so wie mit Deutschland. Zuerst schufen die USA ein Südkorea, woraufhin die Sowjetunion ihren Teil Nordkorea taufte. Und dann überließen die USA und die Sowjetunion die Koreaner sich selbst.
    Das lief allerdings nicht ganz glatt. Sowohl Kim Il-sung im Norden als auch Rhee Syng-man im Süden fanden, dass sie die besseren Voraussetzungen dafür mitbrachten, die gesamte Halbinsel zu regieren. Und über diese Frage entbrannte gleich wieder ein Krieg.
    Doch drei Jahre und ungefähr vier Millionen Tote später war immer noch nichts passiert (außer, dass eben Menschen gestorben waren). Der Norden war immer noch der Norden, der Süden war der Süden. Getrennt durch den achtunddreißigsten Breitengrad.
    Was den Schnaps anging, also den Hauptgrund, aus dem Gulag zu fliehen, lag es natürlich nahe, sich auf eines der vielen Schiffe zu stehlen, die im Hafen von Wladiwostok anlegten und ausliefen. Doch im Laufe der Jahre hatten sich mindestens sieben von Allans Freunden aus der Baracke etwas Ähnliches vorgenommen, und alle sieben waren entdeckt und hingerichtet worden. Dann trauerten die Kameraden in den Baracken – am meisten Herbert Einstein, wie es schien. Nur Allan begriff, was Herbert bedauerte, nämlich dass es wieder nicht ihn getroffen hatte.
    Wenn man ein Schiff entern wollte, war das erste Problem schon mal, dass jeder Sträfling seine typische schwarzweiße Lagerkleidung trug. Damit war es unmöglich, in der Menge unterzutauchen. Obendrein konnte man so eine Gangway ja leicht bewachen, und jede Kiste, die mit dem Kran auf ein Schiff gehievt wurde, wurde zuvor von gut ausgebildeten Wachhunden beschnüffelt.
    Dazu kam, dass es gar nicht so einfach war, ein Schiff zu finden, auf dem man Allan ohne Weiteres aufgenommen hätte. Viele Transporte gingen nach Festlandchina, andere nach Wonsan an der nordkoreanischen Ostküste. Sollte ein chinesischer oder nordkoreanischer Kapitän einen Gulagsträfling in seinem Frachtraum entdecken, gab es durchaus Grund zu der Annahme, dass er entweder beidrehen oder ihn einfach über Bord werfen würde (weniger Bürokratie, gleiches Ergebnis).
    Nein, der Seeweg war schwierig, wenn man fliehen wollte – und das wollte man ja. Der Landweg schien an und für sich nicht viel einfacher. Nordwärts ins sibirische Binnenland und in die unmenschliche Kälte zu marschieren, war natürlich auch keine gute Idee. Und nach China im Westen ebenso wenig.
    Blieb nur noch der Süden, da lag Südkorea, wo man sich sicher eines Lagerflüchtlings annehmen würde, der obendrein ein mutmaßlicher Feind des Kommunismus war. Zu schade, dass man davor erst noch Nordkorea durchqueren musste.
    Noch bevor Allan sich einen einigermaßen brauchbaren Plan für eine Flucht Richtung Süden zurechtbasteln konnte, war ihm klar, dass er unterwegs auf mehr als ein Hindernis treffen würde. Aber es lohnte sich nicht, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, denn dann würde es nie mehr was werden mit dem Schnaps.
    Sollte er es allein versuchen oder zusammen mit jemandem?
    Das müsste dann Herbert sein, der Unselige. Allan glaubte, dass Herbert ihm bei den Vorbereitungen durchaus von Nutzen sein könnte. Außerdem war es sicher lustiger, zu zweit zu fliehen statt ganz allein.
    »Fliehen?«, sagte Herbert Einstein. »Auf dem Landweg? Nach Südkorea? Via Nordkorea?«
    »So ungefähr«, sagte Allan. »Das ist jedenfalls meine Arbeitshypothese.«
    »Die Chance, dass wir durchkommen, geht doch wahrscheinlich gegen null«, sagte Herbert.
    »Genau«, sagte Allan.
    »Ich bin dabei!«, sagte Herbert.
    Nach fünf Jahren wusste jeder im Lager, dass im Schädel von Nummer 133 gedanklich nicht viel los war, und die wenigen Gedanken, die ab und an darin herumkullerten, kollidierten hoffnungslos miteinander.
    Aufgrund dessen hatten die Wachleute eine eher nachsichtige Einstellung zu Herbert Einstein. Wenn irgendein Gefangener in der Schlange bei der Essensausgabe zur festgelegten Zeit nicht so dastand, wie er dastehen sollte, wurde er im günstigsten Falle angeschnauzt, im nächstgünstigsten Fall bekam

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