Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
Schlimmeres tun, als dem Anonymen zu sagen, dass er sich zum Teufel scheren solle, und den Hörer auf die Gabel zu knallen. Denn mit Leuten wie diesem Anrufer musste man ja das Gespräch suchen , sie mit Argumenten überzeugen.
Dachte der Kommissar. Dann sagte er dem Anonymen, dass er sich zum Teufel scheren solle, und knallte den Hörer auf die Gabel.
Aronsson rief Staatsanwalt Ranelid an, um ihm mitzuteilen, dass er vorhatte, sich gleich am nächsten Morgen mit der Erlaubnis des Staatsanwalts nach Västergötland zu begeben, um dort einem neuen Hinweis im Fall des Hundertjährigen und seiner Komplizen nachzugehen (Aronsson hielt es für überflüssig, zu erwähnen, dass er seit Wochen von der Existenz von Benny Ljungbergs Bruder gewusst hatte). Ranelid wünschte Aronsson viel Glück. Er war ganz aus dem Häuschen bei dem Gedanken, dass er bald zu der exklusiven Schar von Staatsanwälten gehören würde, denen es gelungen war, den Angeklagten für Mord oder Totschlag verurteilen zu lassen (oder zumindest für Beihilfe zu einem von beidem), obwohl man die Leiche nicht gefunden hatte – allerdings zum ersten Mal bei einem Fall mit mehr als einem Opfer. Natürlich mussten Karlsson und sein Gefolge erst einmal auftauchen, aber das war ja nur noch eine Frage der Zeit. Vielleicht würde Aronsson sie ja schon am nächsten Tag aufstöbern.
Es war kurz vor fünf, als der Staatsanwalt seine Sachen zusammenpackte. Dabei pfiff er leise vor sich hin und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Sollte er vielleicht ein Buch über diesen Fall schreiben? Der größte Sieg der Gerechtigkeit . War das ein guter Titel? Oder klang das zu prätentiös? Der große Sieg der Gerechtigkeit . Besser. Und bescheidener. Ganz im Einklang mit der Persönlichkeit des Verfassers.
20. KAPITEL
1953–1968
Mao Tse-tung beschaffte Allan und Herbert falsche britische Pässe (wie auch immer er das eingefädelt haben mochte). Dann nahmen sie einen Flug von Shenyang via Schanghai, Hongkong und Malaysia nach Bali. Schon bald saßen die ehemaligen Gulagflüchtlinge unter einem Sonnenschirm an einem schneeweißen Strand, nur wenige Meter vom Indischen Ozean entfernt.
Es wäre perfekt gewesen, wenn die wohlwollende Kellnerin nicht ständig alles verwechselt hätte. Was immer Allan und Herbert zu trinken bestellten, sie bekamen etwas anderes. Wenn sie überhaupt etwas bekamen, denn manchmal verlief sich die Kellnerin auch am Strand. Schließlich brachte der berühmte Tropfen das Fass zum Überlaufen: Allan hatte sich einen Longdrink aus Wodka und Coca-Cola bestellt (»etwas mehr Wodka als Cola«) und bekam – pisang ambon , einen sehr, sehr grünen Bananenlikör.
»Jetzt reicht es aber!«, sagte Allan. Er wollte zum Hoteldirektor gehen und ihn bitten, ihnen eine andere Kellnerin zuzuweisen.
»Niemals!«, rief Herbert. »Die Frau ist doch bezaubernd!«
Die Kellnerin hieß Ni Wayan Laksmi, war zweiunddreißig und hätte eigentlich schon längst unter der Haube sein müssen. Sie sah gut aus, stammte aber aus keiner sonderlich vornehmen Familie und hatte keine Ersparnisse vorzuweisen. Außerdem war bekannt, dass sie ungefähr so viel Grips hatte wie ein kodok , der balinesische Frosch. Daher war Ni Wayan Laksmi auch übrig geblieben, als die Jungs auf der Insel sich ihre Mädchen suchten und die Mädchen ihre Jungs.
Das hatte sie im Grunde gar nicht so sehr gestört, denn in männlicher Gesellschaft hatte sie sich schon immer unwohl gefühlt. Und in weiblicher auch. Überhaupt in Gesellschaft. Bis jetzt! Denn mit einem der zwei neuen weißen Hotelgäste war es irgendwie ganz besonders. Herbert hieß er, und es kam ihr vor, als … hätten sie so viel gemeinsam. Er war zwar sicher dreißig Jahre älter als sie, aber das war ihr egal, denn sie war … verliebt! Und ihre Liebe wurde erwidert. Herbert hatte noch nie jemanden getroffen, der auch nur annähernd so schwer von Begriff war wie er.
Zu ihrem fünfzehnten Geburtstag hatte Ni Wayan Laksmi von ihrem Vater ein Sprachlehrbuch bekommen. Er hatte sich gedacht, dass seine Tochter Holländisch lernen sollte, denn damals war Indonesien ja noch holländische Kolonie. Nachdem sie vier Jahre mit diesem Buch gekämpft hatte, kam ein Holländer zu Besuch. Da wagte Ni Wayan Laksmi zum ersten Mal, das Holländisch auszuprobieren, das sie sich mit großer Mühe beigebracht hatte – nur um zu erfahren, dass sie Deutsch sprach. Der Vater, selbst keine große Leuchte, hatte der Tochter das falsche Buch gegeben.
Doch
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