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Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Titel: Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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gelockt hatte, von wo aus der Schwede nach Wladiwostok weitergeschickt wurde, um dort spätestens bei dem Brand ums Leben zu kommen, von dem jeder einigermaßen aufgeklärte Sowjetbürger wusste. Einundzwanzig Jahre lang hatte er gelitten, nicht zuletzt deswegen, weil ihm dieser Schwede mit seiner scheinbar grenzenlosen Fähigkeit, die Dinge positiv zu sehen, auf Anhieb so sympathisch gewesen war.
    Jetzt stand Julij Borissowitsch bei fünfzehn Grad unter null vor dem Bolschoj-Theater in Moskau und … nein, er konnte es schier nicht fassen. Allan Emmanuel Karlsson hatte überlebt . Und er lebte immer noch. Und jetzt stand er vor Julij. Mitten in Moskau. Und sprach Russisch!
    Julij Borissowitsch war seit vier Jahrzehnten glücklich mit Larissa Alexandrowna verheiratet. Kinder hatten sie nie bekommen, aber sie waren grenzenlos vertraut miteinander. Sie teilten alles, in guten wie in schlechten Zeiten, und mehr als einmal hatte Julij seiner Frau erzählt, wie traurig ihn Allan Emmanuel Karlssons Schicksal machte. Und während Julij immer noch versuchte, sein Hirn in Gang zu setzen, übernahm Larissa Alexandrowna das Kommando:
    »Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das hier also dein alter Freund, den du indirekt in den Tod geschickt hast. Wie wäre es denn, lieber Julij, wenn wir seinem Wunsch entsprächen und ihn auf direktem Wege in ein Restaurant bringen, um ihm ein bisschen Wodka einzuflößen – bevor er uns noch wirklich stirbt?«
    Julij antwortete nicht, nickte aber und ließ sich von seiner Frau zur bereitstehenden Limousine führen, in der er neben seinen verstorbenen Kameraden gesetzt wurde, während die Frau dem Chauffeur Anweisungen gab.
    »Zum Restaurant Puschkin bitte.«
    Es brauchte zwei große Gläschen, bis Allan aufgetaut war, und noch mal zwei, bevor Julij langsam wieder wie ein Mensch funktionierte. Dazwischen machten sich Allan und Larissa miteinander bekannt.
    Als Julij es endlich begriffen hatte, ging sein Schock in Freude über (»Jetzt wollen wir feiern!«). Doch Allan hielt es für angebracht, gleich zum Thema zu kommen. Wenn man etwas zu sagen hatte, war es immer gut, gleich damit rauszurücken.
    »Was hältst du davon, Spion zu werden?«, fragte Allan. »Bin ich nämlich auch, das ist wirklich ganz spannend.«
    Julij bekam seinen fünften Wodka in die falsche Kehle und hustete ihn quer über den Tisch.
    »Spion?«, wiederholte Larissa, während ihr Mann weiterhustete.
    »Ja, oder Agent. Ich muss gestehen, ich weiß auch nicht so recht, was der Unterschied ist.«
    »Das ist ja interessant. Erzählen Sie uns doch mehr, lieber Allan Emmanuel.«
    »Nein, tu das nicht, Allan«, hustete Julij. »Tu das nicht. Wir wollen gar nicht mehr wissen! «
    »Red doch keinen Unsinn, lieber Julij«, sagte Larissa. »Dein Freund muss dir doch von seiner Arbeit erzählen dürfen, nachdem ihr euch so viele Jahre nicht gesehen habt. Erzähl nur weiter, Allan Emmanuel.«
    Allan erzählte weiter, und Larissa hörte interessiert zu, während Julij das Gesicht die ganze Zeit in den Händen verbarg. Allan erzählte von seinem Abendessen mit Präsident Johnson und dem geheimen Hutton von der CIA und vom Treffen am nächsten Tag, bei dem Hutton ihm vorschlug, nach Moskau zu fahren und herauszufinden, wie es um die sowjetischen Missiles bestellt war.
    Allan erwog die Alternative, nämlich in Paris zu bleiben, wo er garantiert jeden Tag alle Hände voll damit zu tun haben würde, die Botschafterin und ihren Mann davon abzuhalten, diplomatische Krisen zu verursachen, wann immer sie den Mund aufmachten. Da Amanda und Herbert zu zweit waren und Allan sich unmöglich an zwei Orten gleichzeitig aufhalten konnte, nahm er das Angebot des geheimen Hutton an. Es klang einfach ein bisschen geruhsamer. Außerdem wäre es sicher schön, Julij nach all den Jahren wiederzusehen.
    Der verbarg jetzt zwar immer noch das Gesicht in den Händen, aber mit einem Auge linste er schon zwischen den Fingern hindurch. Ob Julij von Herbert Einstein gehört habe? Tatsächlich erinnerte sich Julij an ihn, und er meinte, es wäre wahrhaftig eine gute Nachricht, sollte auch Herbert die Entführung und das Straflager überlebt haben, in das Berija ihn geschickt hatte.
    O ja, der habe auch überlebt, bestätigte Allan. Und dann erzählte er in groben Zügen von den zwanzig Jahren, die sie miteinander verbracht hatten. Wie sein Freund erst immer nur sterben wollte, seine Meinung in diesem Punkt aber komplett revidiert hatte, als er dann wirklich

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