Der Hurenkiller - Teil II (Wegners schwerste Faelle)
schon seit langer Zeit
selbst seinen Dienstplan bestimmen. Keiner schrieb ihm, als Leiter der
Mordkommission vor, wann er wo zu sein hatte. Einer der wenigen Vorteile an
seinem Posten.
Ein Haufen Kollegen drängte sich vor der Tür zur
Kantine. Jeden Moment würde Herta aufschließen, um die hungrige Meute
hereinzulassen. Warum diese Narren immer wieder auf pappige Brötchen und dünnen
Kaffee hereinfielen, war Wegner ein Rätsel. Jetzt aber bog auch er ab und
schloss sich als Letzter der Warteschlange an. Sein Blick fiel auf den Stapel
eines bekannten Boulevardblattes, dessen einziger Vorteil die zweifellos
attraktiven Mädchen auf der Titelseite waren. Als er die riesige Schlagzeile
las, krampften sich seine Eingeweide regelrecht zusammen: »Wildwest in Hamburg
- Lynchjustiz durch Staatsdiener!«
Wegner schnappte sich eines der Blätter und verzog
sich grimmig in sein Büro. Stefan Hausers leerer Platz wirkte noch zusätzlich
frustrierend. Kraftlos ließ er sich hinter seinen Schreibtisch sinken. Er
schlug die Titelseite auf und überflog frustriert sein »Todesurteil«.
Der Leiter der Hamburger Mordkommission hätte, nach
einem komplett missglückten Einsatz, das Recht einfach selbst in die Hand
genommen. Sich hierdurch weit über die Grenzen der Justiz und der Moral
hinweggesetzt.
»Vielleicht haben diese Idioten vergessen, dass der
verrückte Zahnarzt insgesamt acht Menschen auf dem Gewissen hatte«, ging es
Wegner verbittert durch den Kopf. Auch den zweiten MEK-Beamten, dessen Hals von
einer Kugel durchschlagen wurde, hatte man in der Klinik nicht mehr retten
können. Zusammen mit der afrikanischen Putzfrau, dem zweiten Polizisten und den
fünf Opfern seiner Drogenverkäufe, hatte Mike Gerlach es auf eine traurige
Vielzahl von Leichen gebracht, deren Tod er zu verantworten hatte. Vermutlich
hätten sie ihm in einem späteren Gerichtsprozess Schuldunfähigkeit attestiert.
Seine darauffolgenden Jahre in einer geschlossenen Abteilung der Psychiatrie
wären sicher grauenvoll geworden. Drei Mal am Tag Warmes, hübsche
Krankenschwestern und zum Ausgleich Sport und Reittherapie. Wegner konnte
regelmäßig kotzen, wenn Verbrecher derart »bestraft« wurden.
Es war schon fast neun, als sein Telefon klingelte. Wo
waren nur die letzten Stunden geblieben?, fragte sich Wegner. Wieder und wieder
schellte es blechern, wollte einfach nicht aufhören. Die Nummer kannte der
Hauptkommissar nur zu gut. Sie gehörte zu Hans Schreiber. Seines Zeichens
leitender Polizeidirektor und somit Wegners direkter Vorgesetzter. Es war nicht
Angst, die seine Hand lähmte ... bestenfalls vor sich selbst und dem was er
unbedacht sagen würde. Es war viel mehr das sichere Wissen, dass nach diesem
Anruf nie wieder etwas so sein würde, wie es einmal war.
Es wollte einfach nicht aufhören zu klingeln. Wie in
einem unkontrollierten Reflex schoss Wegners Hand nun zum Hörer.
»Hans! Wie geht es dir ... was machen die Kinder?«
Die beiden hatten sich schon vor vielen Jahren auf einem Polizeiball näher kennengelernt.
Seitdem mochte und schätzte man sich gegenseitig. Als er noch mit Gisela
verheiratet war, hatten sie sich sogar ein paar Mal abends getroffen. Waren
gemeinsam Tanzen oder ins Kino gegangen.
»Hallo Manfred«, man merkte, wie schwer es Hans
Schreiber fiel, dienstlich zu werden. »Jutta geht es gut und die Kinder wachsen
wie Unkraut. Der Junge ist nächsten Monat mit dem Studium fertig.«
»Da kannst du mehr als stolz sein.«
»Das bin ich, Manfred. Danke.«
Eine unangenehme Pause entstand, denn keiner von
beiden mochte mit dem leidigen Thema anfangen.
»Aber deshalb rufst du sicher nicht an, oder?«
Wegner wurde es zu dumm. Er war nicht der Typ, der lange um den heißen Brei
herumredete.
»So ist es - leider.«
»Na dann! Fang einfach mit der Hinrichtung an. Wann
und wo wollen sie mich erschießen?«
»Na ganz so weit ist es noch nicht«, jetzt lachte
Hans Schreiber sogar ein wenig, »ich habe mit dem Polizeivizepräsidenten
telefoniert.«
»Und?«
»Er sagt, dass die Truppe geschlossen hinter dir
steht. Und dass er es genauso gemacht hätte ... das natürlich inoffiziell.«
»Aber rausschmeißen will er mich doch sicher
trotzdem ...?«
»Er lehnt deine Suspendierung, zumindest in diesem
Stadium, noch kategorisch ab.«
»Und was will er dann?«
»Er schlägt vor, dass du deinen kompletten
Jahresurlaub einreichst. Danach sollten sich die Wogen schon etwas geglättet
haben.«
»Wenn ich nur meine Überstunden abfeiere,
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