Der Hypnosearzt
das Stück hieß: ›Die Landpraxis‹. Sie spielten es sogar mit Erfolg. Niemand, weder die Putzfrauen noch Marga, bemerkte Probleme, schließlich waren sie ein altbewährtes Team. Und selbst als Christa sich eines Abends aus dem gemeinsamen Schlafzimmer verabschiedete, erfolgte es ohne Szene, fast beiläufig.
»Weißt du, im Sommer ist es im Gästezimmer einfach kühler … Du sitzt ja sowieso über deinen ewigen Vorträgen, und ich hab schließlich auch einiges zu tun.«
Sie hatten beide begonnen, abends zu arbeiten. Vielleicht wollte Christa mit Stefan gleichziehen. Auf der Anschlagtafel der Volkshochschule stand ihr Name geschrieben: Frau Christa Bergmann spricht über moderne Kinder- und Säuglingspflege.
Alles schien selbstverständlich … Und jeder machte auf seiner Seite der unsichtbaren Scheibe, die zwischen ihnen stand, weiter, als sei nichts, aber auch gar nichts geschehen.
Doch dann bildeten sich die ersten Risse. Manchmal war in Stefan das Gefühl, als beginne der Boden unter ihm zu beben, als stehe etwas Bedrohliches bevor.
Am dritten September erhielt er einen Brief. Christa legte ihn zusammen mit der anderen Post auf den Schreibtisch. Als erstes fischte Stefan sich ein Kuvert heraus, dessen Absender ihn neugierig machte: Verband deutscher Psychologen.
Was wollten die? Ein Herr Walter Wollberger, Diplompsychologe, erbat eine schriftliche Stellungnahme zu der Frage, wie Stefan es sowohl standesethisch als auch kassenrechtlich zu vertreten gedachte, in seiner Praxis als Allgemeinmediziner psychotherapeutisch tätig zu sein.
Er reichte Christa den Brief. »Ist doch unglaublich.«
»Was ist unglaublich?«
»Na, lies. Was für eine dämliche Anmaßung. – Kein Praktiker, kein Arzt kann sich mit einem Patienten beschäftigen, ohne die psychologische oder die psychosomatische Seite der Probleme zu berücksichtigen. Nicht einmal betonharte Schulmediziner wie dein Vater können das.«
»Nicht einmal die? – Solche Idioten, was? Aber darum geht's hier nicht.«
»Nein?«
»Es geht um deine Methoden.«
»Es geht um die Hypnose-Therapie. Und das ist eine anerkannte Schule der Psychologie. Bloß gibt's dafür keine Gesetze. Außerdem – ich rechne privat ab.«
Diesmal gab Christa keine Antwort. Sie sah ihn nur an.
Er spürte, wie sein Ärger wuchs, hörte sich schneller atmen. »Was willst du eigentlich? Du weißt doch selbst, daß ich Lehrseminare besucht habe, daß ich auf jedem ernstzunehmenden Kongreß dabei bin. Außerdem habe ich mich wahrscheinlich mehr mit Psychologie beschäftigt und mehr Bücher darüber gelesen als dieser … dieser …« Er warf den Brief auf den Tisch. »Dieser arrogante Pinkel.«
Sie zog den Patientenstuhl heran, setzte sich, stützte die Ellbogen auf, faltete die Hände, legte ihr Kinn darauf und sah ihn weiter an. »Hier geht's nicht um Pinkel und nicht um Arroganz, Stefan.«
»Um was dann.«
»Um Sauberkeit. Um klare Linien, klare Trennungen.«
»Und das sagst du zu mir? Herrgott, du siehst seit Jahren, welche Erfolge ich mit der Hypnose-Therapie erziele. Du hast sie vor Augen. Du kennst die Fälle. Du hast gesehen, wie Annemie Markwart beieinander war und was aus ihr geworden ist, und sie ist eine von Hunderten. Das alles willst du in Frage stellen?«
Er brach ab. Es war nicht das Befremden in ihrem Gesicht, es war ein Staunen über sich selbst. Er hatte geschrien.
»Warum brüllst du nicht weiter? Schrei doch, nur zu! Es ist ja kein Mensch im Wartezimmer. In den letzten Wochen kommen sowieso immer weniger.« Sie hatte recht, doch was ihn schweigen ließ, war etwas anderes. Erzählte er nicht dauernd, wie wichtig es sei, in der Bedrängnis Distanz zu sich selbst zu gewinnen? Und jetzt brüllte er tatsächlich.
»Entschuldige.«
Christa blieb erbarmungslos. »Hast du dich schon mal gefragt, was hier los ist? Warum wir so wenig Betrieb in der Praxis haben?«
»Was soll das?«
»Das ist ganz einfach. Und hat auch mit Klarheit zu tun.«
Sie deutete auf den Brief. »Der Mann hat doch recht. Du vermischst die Dinge. Und weil du das tust, verwirrst du deine Patienten. Die wissen gar nicht mehr, wohin sie gehen, zu ihrem Doktor, der ihnen sagt, was mit der Herzklappe los ist, oder ihnen ein Furunkel am Bein aufschneidet, oder zu dem anderen, der sie in hypnotische Trance versetzt, in einen Zustand, den sie nicht kontrollieren können, der ihnen unheimlich ist.«
Auch jetzt blieb er ruhig.
»Christa«, sagte er leise, »du kennst meine Arbeit. Du kennst sie
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