Der Hypnosearzt
Mainardi, nichts als Pech.
Schon daß Abu Amar an diesem Samstag morgen den Sechzehn-Tonner mit Schüttgut für die Mole von Port Les Fleurs fahren mußte. Abu war ein guter Fahrer, immer war Verlaß auf ihn gewesen, aber er hatte nun mal einen marokkanischen Paß, und das dunkle schmale Gesicht mit dem schwarzen Schnurrbärtchen war genau die Sorte Gesicht, die sie hier so mögen. Dabei war Abu kein Marokkaner. Er gehörte zu den Palästinensern, die die Israelis während des Libanon-Krieges aus Beirut hinauswarfen und auf die Schiffe trieben …
Und ausgerechnet er mußte am Steuer des Lasters sitzen, dazu noch kurz vor neun, als der Nebel das ganze Gelände und den ganzen Betrieb zuschmierte, jawohl, regelrecht zuschmierte! Abu Amar hatte es bei der Vernehmung gesagt: »Nichts sehen. Nicht Hand vor Auge …«
Um acht Uhr vierzig hatte Abu Amar abgeladen, um acht Uhr vierundvierzig war er bereits auf der Rückfahrt. Er hatte die Bauzone schon beinahe verlassen gehabt, kam gerade in der Höhe der kleinen Imbißbuden vorbei, die sie dort für die Arbeiter errichtet hatten – und da passierte es.
»Sah nichts, Chef … wirklich nichts.«
Es war auch nichts zu sehen. Es gab nicht nur Nebel, da waren auch Dreck und Sand und Staub. Abu sah noch die Lichter der Camions , die entgegenkamen, und dann plötzlich die Frau mit dem Kind.
»Die mich angucken … ganz nah …«
Abu hatte die Hände vor dem Gesicht, als er das erzählte. Er zitterte und heulte wie ein Hund.
Die Frau hieß Jeannette Bernard. Sie war sechsundzwanzig Jahre alt, seit einem Jahr verheiratet, arbeitete als Zeitungsausträgerin in Saint-Michel und war in dieser Sekunde nicht allein. Sie hielt ihre neun Monate alte Tochter Nicole im Arm.
Abu rammte den Fuß auf die Bremse, trat sie durch, so weit es ihm möglich war, und die Hydraulikbremsen seines Sechzehn-Tonners gehörten zu den leistungsfähigsten Geräten im Autobau. Überdies war das Ding gerade vor einer Woche überholt worden, aber das alles half nichts …
Jeannette Bernard machte einen einzigen Satz. Die Stoßstange erwischte sie an der Hüfte und schleuderte sie in den Schmutz – ihr Glück! Glück war auch, daß der Fahrer des nächsten entgegenkommenden Wagens in einem PKW saß, das Unglück aus genügendem Abstand beobachten und rechtzeitig bremsen konnte.
Nicole jedoch, der Säugling …
Das wirst du nie vergessen, sagte sich Julien Mainardi. Nie! Und wenn du neunzig Jahre alt wirst … Das Herz krampft sich bei so was zusammen, der Magen dreht sich dir um …
Er griff erneut zur Cognacflasche. Sie war im Handschuhfach seines Wagens verstaut. Er hatte Mühe, den Verschluß herunterzubekommen, so sehr zitterten seine Finger. Das Kind, das Kind …
Das Häufchen zerquetschten Fleisches und zertrümmerter Knochen, das von ihm übrig war, hatten sie abgeholt. Doch die Blutlache blieb und sickerte langsam in die braune, staubige Erde.
Drüben in dem Polizeiwagen verhörten sie die Zeugen und schrieben Protokolle. Abu Amar hatten sie längst abgeführt.
»Hatte der Mann überhaupt einen LKW-Führerschein, Herr Mainardi? Die Arbeitspapiere? Die bringen Sie uns ins Kommissariat, ja? Auch die Versicherungsunterlagen und seine Arbeitsgenehmigung, verstanden? War der Wagen in Ordnung? Wann war er zum letzten Mal zur Inspektion gewesen?«
Was konnte Julien für den Nebel oder den Dreck auf der Baustelle? Und alles war in Ordnung. Die Papiere, ja, da konnte ihm keiner an den Karren fahren.
Das andere aber? Wenn die wüßten …
Das ›Schweinegesicht‹ kam gerade wieder angeschaukelt, fett, rothaarig und im schicken Seidenblouson.
Leo, das ›Schweinegesicht‹ spielte den Patron. Er kam aus Rennes, war Bretone und bei den Bauarbeiten von Port Les Fleurs Le Coq s Mann vor Ort.
Auf der Baustelle arbeiteten an die vierzig verschiedene Firmen, mehr als die Hälfte gehörten entweder Le Coq ganz, oder er hatte auf irgendeine andere Weise die Finger drin. So wie bei Julien Mainardi zum Beispiel … Vor einem halben Jahr noch fuhr Julien mit seinen beiden Kleinlastern für den Markt in Saint-Raphaël. Jetzt waren acht schwere Volvo und vier Renaults auf seinen Namen eingeschrieben. Er konnte den Chef spielen, das ja, nur leider gab's dafür ein riesiges Schuldenkonto beim Crédit Lyonnais und dazu noch die fünfzehn Prozent, die monatlich von jeder Einnahme auf Le Coq s Konto flossen. Und es gab Leo, den Bretonen, der für diesen korsischen Mafioso arbeitete, bei Julien die Autotür
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