Der Hypnosearzt
besser als jeder andere …«
Sie nickte und ging.
In derselben Woche, drei Tage später, erhielt Stefan einen Anruf aus Köln. Am Apparat war sein alter Freund Rudi Becker, der Redakteur, der die Sendereihe ›Grenzbereiche der Medizin‹ betreute.
»Störe ich?«
»Du doch nicht, Rudi. Ist irgend etwas an dem Manuskript nicht in Ordnung?«
Es war Stefans vorletzter Beitrag. Er sollte in zehn Tagen gesendet werden. Der Abstand zwischen den Sendungen dieser Reihe betrug zwei Wochen. Es gab also immer noch genug Zeit, Korrekturen vorzunehmen.
Doch Rudi Becker ging es um etwas anderes. »Ich habe dir doch gesagt, daß wir am nächsten Mittwoch ein Hörerecho bringen?«
»Damit hab ich aber nichts zu tun.«
»Nein, das erledigen wir. Aber da hat uns ein ziemlich heftiger, man muß schon sagen, bösartiger Brief erreicht. Er kommt von einem Professor Rüttger aus Hannover. Und da hätte ich schon gerne, daß du darauf reagierst.«
»Schick mir den Brief per Fax«, sagte Stefan.
Das Fax kam wenige Minuten später. Der Inhalt entsprach ziemlich genau seinen Erwartungen, er deckte sich mit den bissigen Argumenten und Sprüchen, die ihm der Klanchef der Rüttgers schon vor Jahren lautstark an den Kopf geworfen hatte.
Immer blieb es das gleiche: gewissenlose Scharlatanerie, Irreführung der Patienten, die sich vergeblich Hoffnung auf Heilungschancen machten, und am Schluß: »Bei Krebs beginnt diese sogenannte Hypnose-Therapie kriminell zu werden und rückt somit in die Nähe eines Straftatbestandes, nämlich der Anmaßung, selbst bei der Krebsheilung positive Erfolge erzielen zu können …«
Das alles berührte Stefan nicht. Er kannte es ja schon. Doch daß sein Schwiegervater sich an seinen Schreibtisch setzte, um ihn beim Sender anzuschwärzen, hätte er nicht erwartet.
»Wie, glaubtest du denn, daß er reagieren würde?« Der Blick, den Christa ihm zuwarf, war der gleiche wie der, als er sich über das Schreiben des Deutschen Psychologen-Verbandes aufgeregt hatte.
»Da wären wir also wieder!« Er seufzte resigniert. »Wieso eigentlich nehmt ihr denn nie zur Kenntnis …«
»Ihr?«
»Ja, ihr. Dein Vater und du.«
»Und was sollen wir zur Kenntnis nehmen?«
»Daß ich, Himmelherrgott noch mal, genauso Schulmediziner bin. Nur daß mich dieser engstirnige Reparaturbetrieb nicht befriedigen kann. Und daß ich nichts anderes will, als meine Therapiemöglichkeiten zu erweitern.«
»Und? Wo sind sie denn, deine Krebserfolge? Wie konntest du den Wahnsinn begehen, so einen Mist im Radio zu verbreiten, und dann auch noch erwarten, daß mein Vater stillhalten würde?«
»Wahnsinn, sagst du? Wieso Wahnsinn? Erstens hast du die Sendung überhaupt nicht gehört, du weißt also nicht, wovon du redest. Zweitens ist von einer Krebsheilung durch Hypnose-Therapie nicht die Rede. Ich sage sogar ausdrücklich, daß bei der Krebstherapie in vorderster Front die klassischen Mittel der Medizin stehen, aber daß sich zur Unterstützung, nämlich zur Ankurbelung des Immunsystems, die Hypnose sehr wohl bewährt hat. Das wurde unzählige Male klinisch bewiesen. Außerdem, du kennst meine eigenen Fälle …«
Er sprach ruhig. Er würde sich nie mehr, so wie das letzte Mal, zu lautstarker Erregung hinreißen lassen. Was sich zwischen ihm und Christa auftat, war der klassische Schützengraben. Was schmerzte, war, daß er zwischen ihnen beiden verlaufen mußte.
»Ach, Christa …« Er hielt die Hand fest, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Sie zog sie nicht zurück. »Christa, wie oft haben wir dies alles schon durchdiskutiert? Und wie oft warst du meiner Meinung. Das Immunpotential ist nun einmal das Entscheidende, nicht nur beim Krebs, sondern bei allen Heilprozessen … Aber gerade bei Tumoren wird es dramatisch. Du weißt es, ich weiß es, und Chirurgen wie dein Vater wissen es ganz besonders. Denen reicht oft ein einziger Blick oder ein kurzes Gespräch, und ihnen ist klar: Den hier, den krieg ich durch, denn der glaubt an sich. Und der andere hat sich schon aufgegeben. So ist das doch. Es läuft über die Psyche. In der Hypnose kann man Kräfte ankurbeln, ich kann den Leuten beibringen, wie man sich wehrt – bis hin zu den weißen Blutkörperchen, bis zu den Makrophagen. Du hast es erlebt – und jetzt stehen wir hier wie zwei Gegner? Das ist doch lächerlich, Christa!«
Doch sie ging bereits auf die Tür zu.
Was war bloß geschehen, Himmelherrgott noch mal?
Sein Herz schmerzte …
War alles Pech, sagte sich Julien
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