Der Hypnosearzt
In seinem Schatten jedoch lag ein Mann auf dem Boden, mit dem Gesicht nach unten: Ortiz. Beide Arme waren ausgestreckt, die Hände auf die Erde gedrückt. Doch ob es sich nun um die Leiche des Lehrers handelte oder ob er von den beiden Bullen, die neben ihm knieten, zu dieser Stellung gezwungen worden war, das war nicht auszumachen.
Alles zusammen aber, darin waren sich die Freunde einig, ergaben die Bilder einen logischen, klaren Tathergang.
Nur – was würde ein Anwalt sagen, dem sie die Fotografien auf den Tisch legten? Und welchem Anwalt?
Es gab einen einzigen, der in Betracht kam: Dumont in Saint-Tropez. Maître Dumont hatte seit Jahrzehnten den Wein von Pascal Lombard bezogen. Und hatte von der ersten Kampagne an beim Kampf gegen Port Les Fleurs mitgemacht. Aber Maître Dumont war auch bekannt und berüchtigt für seine aggressiven linken Sprüche; er war eine Art altkommunistisches Urgestein, sechsundsiebzig Jahre alt und somit nicht gerade eine Idealbesetzung.
Doch jetzt hatte Fabien ja eine neue Idee.
Die Presse.
»Der Arme!« Maria lachte.
»Was heißt – der Arme? Welcher Arme?«
»Der alte Herr von gestern abend … Was der für Augen gemacht hat, der Arme. Der bekam fast einen Schlag.«
Der ›arme alte Herr‹ war der Portier des Gutshotels Schöneich. Und der arme alte Herr im schwarzen Anzug war wirklich wie zur Salzsäule erstarrt gewesen, als er gestern abend zwei reichlich sonderbare Gestalten auf sich zukommen sah. Immerhin – sie waren gerade aus einem äußerst zuverlässig wirkenden, großen Luxuswagen gestiegen. Bis auf die Haut durchnäßt, die Frau zitternd vor Kälte und auch noch barfuß, denn Maria hatte auf der Flucht vor dem Regen durch den Wald den rechten Schuh verloren.
Aber jetzt war es Tag. Und Maria lachte.
Sie saß vor der großen Balkontür, eingehüllt in einen weiten Bademantel wie in einen viel zu großen Kokon. Der Frotteestoff kam ins Rutschen und entblößte all das, was Stefan in der Nacht wie eine Offenbarung erschienen war: die zarte Schulter, die Linie des Halsansatzes, einen schlanken Oberarm, die rechte Brust, fest, klein, mit kühnem Aufwärtsschwung und einer winzigen braunen Warze. Das Licht, das über die Wälder, Wiesen und Koppeln kam, ließ die Härchen auf ihrer nackten Haut aufleuchten und zog einen goldenen Streifen um ihr Profil. Und hinter ihnen gab es diesen warmen, hübschen Raum mit dem großen Bett, seinen Biedermeier-Möbeln und der gelbbraun gestreiften Tapete.
Eine Oase, dachte Stefan. Nein, ein richtiggehendes Wunder – wie alles, was in dieser Nacht geschehen war. Der Rest der Welt ist versunken. Es gibt nur noch uns …
Er hatte den Frühstückstisch an die Terrassentür gestellt, rauchte und sah Maria an. Er hatte noch keinen Schluck Tee getrunken, sie anzusehen genügte ihm vollauf.
»Was ist, Stefan? An was denkst du?«
»An eine Frau.«
»Was?« Sie richtete sich auf und zog den Bademantel über ihre entblößte Brust. »Und das sagst du jetzt? Ist sie schön? Ist sie interessant? Oder denkst du an deine Frau?«
»Das sollte ich wahrscheinlich. Aber ich tu's nicht. Noch nicht. Das schiebe ich hinaus.«
»Das funktioniert nicht lange, chérie …«
Da hatte sie recht.
»Und was ist das für eine Frau?«
»Eine Patientin.«
»Kennst du sie näher?«
»Nein. Sie war gestern, kurz bevor du angerufen hast, bei mir.«
»Und?«
»Sie hat mir einen Satz gesagt, der auch auf mich zutrifft.«
»Was war das für ein Satz?«
»Daß sich für sie alles geändert hat.«
»Hat es das – für dich?«
Er schwieg. Doch als Maria ihn weiter aus ihren dunklen Augen ansah, erwiderte er zögernd: »Ich weiß es nicht. Noch nicht …«
»Und weshalb kam sie zu dir?«
»Weil sie sich von mir Hilfe versprach. Ihre Krankheit nannte sie ›krankhafte Eifersucht‹, krankhaft deshalb, weil ihr Mann ihr treu ist und sie ihn trotzdem ständig in den Armen einer anderen sieht.«
»Und das trifft auch auf dich …«
»Nein.« Er lächelte. »Sie hat zuviel Phantasie. Als Malerin bist du darin eigentlich auch Experte.«
»Na gut, Experte in Phantasie, aber doch nicht in Eifersucht.«
»Eifersucht ist Verlustangst, nichts anderes.« Er füllte ihr die Tasse mit Tee nach und sah zu, wie die braungoldene Flüssigkeit auf das weiße Porzellan traf. »Furcht vor einer Trennung … Aber meist hat sie mit dem Menschen, den man meint, gar nichts zu tun. Meist ist sie mit einem viel früheren, viel tiefer liegenden Erlebnis verbunden.«
»Und
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