Der Hypnosearzt
würde vier Wochen länger in der Klinik bleiben, mindestens. Die Knochen waren ausgeheilt, aber der Kopf, das Gedächtnis wollte nicht. An die früheren Zeiten erinnerte der Vater sich, aber die letzten Monate … Es gab nur Bruchstücke, die ihm klar waren. »Wie Felsen in der Brandung«, hatte der Arzt gesagt …
Fabien wiederum hatte das Reden inzwischen fast ganz eingestellt. Mit Régine schien es noch zu funktionieren, sonst aber benahm er sich wie ein Taubstummer, auch jetzt wieder. Sein schmutziger Fingernagel deutete auf seine Lippen, den Kopf hielt er bittend schräg.
»'ne Zigarette willst du?«
Charlie holte die Gauloise-Packung aus der Hose, zündete zwei an, schob Fabien die eine zu.
Sie rauchten schweigend und im Stehen. Dann ließ sich Fabien auf dem Sockelvorsprung von Saint-Louis nieder, Régine setzte sich neben ihn. Fabien griff in seine Brusttasche, und Charlie wußte, was nun kommen würde: der Notizblock. Wir müssen miteinander reden, stand darauf.
»Es gibt bessere Witze.«
Fabien schrieb weiter: Dringend!
»Und wo?«
Fabien deutete mit dem Kinn in die andere Richtung. Dort stand der alte R4 von Régines Onkel. Anscheinend hatte er ihn ihr für alle Zeiten überlassen.
»Na gut. Ich bring meinen Krempel rüber zu Chevalier. Dann mach ich Feierabend. Der geizige Hund ist mir sowieso noch die ganze Woche Lohn schuldig.«
Und Fabien lächelte …
»Es ist ganz einfach …«
Charlie blieb die Luft weg. Fabiens Satz kam kurz, klar und präzise: »Es geht nur … um die Presse … Und ich glau-glaube, ich habe da eine – Lö-lö …«
Fabien verstummte. Was blieb, war der erstickte Laut, mit dem er den Versuch abgebrochen hatte, das Wort ›Lösung‹ auszusprechen.
Charlie grinste, doch innerlich hätte er heulen können. Das arme Schwein! Jetzt begann wieder die Fummelei mit Bleistift und Papier. Régine war an der Jalousie beim Fenster und zog sie ein wenig hoch.
Ricard, schrieb Fabien.
»Klar doch«, sagte Charlie. »Der fette Oli …«
Der ›fette Oli‹ war ein Kommilitone aus Narbonne, genauer, er war es gewesen. Oli hatte im letzten Jahr aufgegeben und sich nach Paris verzogen. Moment! Um seinen Vater ging es damals. Pierre Ricard war einer der ganz Großen im Journalistengeschäft, ein Reporter, den man oft im Fernsehen sehen konnte. Von Marseille aus hatte er für den Figaro berichtet, dann aber, und das war das letzte, was Charlie von Oli erfuhr, hatten sie Pierre Ricard zum Redaktionschef in Paris befördert.
Verdammt, darauf hättest du selbst kommen können, dachte Charlie. Alles mögliche hatten sie unternommen, die ganzen Schrottplätze der Gegend auf der Suche nach dem zu Bruch gegangenen Streifenwagen aus Cavalaire abgeklappert, mit jedem gesprochen, der etwas von dem Unfall mitbekommen haben konnte. Charlie hatte versucht, die Kollegen seines Vaters anzuzapfen, hatte sich nach Vertier umgetan, dem Agenten, der zusammen mit Inspecteur Donnet dabei gewesen war, als Ortiz erschossen wurde.
Es hatte Charlie ziemlich viel Whisky und eine Menge psychologische Geschicklichkeit gekostet, die Beamten in Cavalaire auszufragen, doch gebracht hatte alles nichts. Schon die kleinste Andeutung bewirkte nur eines: achselzuckendes Befremden. Der Fall Ortiz? Steht schließlich in den Akten … Wir, o nein, wir wissen nichts.
Was noch blieb, waren die Fotos, die Pascal Lombard gemacht hatte.
Zusammen mit Fabien und Régine hatte Charlie sie wohl ein dutzendmal durchgesehen. Sie hatten sich eine Lupe geholt, in der Hoffnung, daß die Vergrößerung weiterhelfen würde. Amoros und Le Coq , dazu noch dieser Verwaltungsbonze aus Toulon auf Lindners Yacht … Donnet mit diesem Russen … die Miezen am Schwimmbad der Villa Wilkinson. Dann wieder Donnet, diesmal in Lindners Hubschrauber … Wieso eigentlich? Wieso flog ein Polizeiinspektor im Hubschrauber des Deutschen durch die Gegend?
Dazu kamen vier weitere Fotos. Sie waren die schlimmsten, so deprimierend, daß den jungen Leuten der Atem stockte: Die erste Aufnahme zeigte Donnet und den Sergeanten Vertier, wie sie mit gezogenen Pistolen hinter Ortiz' Grundstücksmauer in Deckung gingen. Auf dem zweiten liefen sie auf das Haus zu, auf der dritten Aufnahme wiederum stand Ortiz an der Haustür, hatte seine Vogelflinte noch in der Hand, aber die Art, wie er sie hielt, konnte nur eines bedeuten: Er war bereit, sich zu ergeben, und wollte die Waffe ausliefern. Eine weitere Aufnahme zeigte vor allem einen großen blühenden Hibiskus.
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