Der Hypnosearzt
der Hand, aus der frisch gepflückte Minzeblätter ragten. Er beobachtete das Gesicht mit den sonderbar verspannten, unruhigen Lippen. Wohl war es Bergmann nicht, aber der Junge schien ganz friedlich – und friedlich stellte er den Tee neben ihn.
Was war mit dem Jungen los? Die Frage ging in dem Dröhnen in Stefans Hinterkopf unter. Er versuchte den Schmerz zu bekämpfen, hatte gelernt, ihn durch Autosuggestion und Atemlenkung zu bändigen, und auch jetzt ließ das Stechen wieder nach.
»Ich kann Ihnen auch ein Pflaster geben«, sagte die Kleine. »An Ihrem Kopf ist ein bißchen Blut …«
Nun schaffte er doch das Lächeln. »Danke, ist nicht notwendig.«
Und sie lächelte zurück. Siebzehn, dachte Bergmann. Nein, älter, neunzehn vielleicht – und reizend. Aber wie paßt das zusammen? Ein Kerl, der dich ohne Vorwarnung zusammenschlägt, und dann dieses friedliche, erschrockene, fürsorgliche Mädchen.
»Haben Sie eine Zigarette?« fragte Stefan.
»Gleich, Monsieur le Docteur , sofort.«
Monsieur le Docteur – das bedeutete, daß sie wußten, wer er war. Sie kam mit der Zigarette zurück, zündete sie an und steckte sie Stefan so vorsichtig und fürsorglich in den Mund, wie es Schwestern bei Schwerverletzten tun.
»Sie kennen mich?« fragte er.
»Ja. Aus dem Klinikprospekt der Société . Das ist es ja gerade …«
Der Junge drehte ihr nur den Kopf zu. Aus seinem Mund drang ein kurzer Ton, der wohl zu einem Wort werden sollte. Das Gesicht zuckte … Ein Stotterer? Der Junge gab den Sprechversuch auf, und ein lautes, warnendes Zischen kam aus den zusammengepreßten Lippen.
Régine wandte ihm den Kopf zu. »Das hat doch keinen Zweck, Fabien.«
Und plötzlich konnte er reden. Die Zähne knirschten, das Kinn war vorgeschoben, doch es kam ziemlich klar und verständlich, was er herauspreßte: »Unser Land – mein Land …« Und dann: »All die Toten … Der Deutsche ist ein Mörder …«
KAPITEL 8
Es war so unheimlich, wie er das sagte. Maria. Seine Stimme. Und dann: »Der Deutsche ist ein Mörder.« Er mußte sich schrecklich anstrengen … Aber er hat es gesagt: »Der Deutsche ist ein Mörder.« Das Mädchen war richtig erschrocken, zutiefst erschrocken. Es sprang auf, streckte den Arm aus, als wollte es ihm den Mund zuhalten, aber da war es schon heraus.
Es war Nacht geworden. Sie gingen durch eine enge, gewundene Gasse. Rechts zog sich eine Weinbergmauer entlang, links standen die Häuser von Ramatuelle, eines an das andere gebaut, und die Lichter waren gelbe Vierecke im blauweißen harten Glanz des Mondes.
Maria stolperte und blieb stehen. Stefan hielt sie fest und drückte sie gegen die Mauer. In Le Castelet hatte er es nicht ausgehalten, er mußte sich bewegen, mußte irgend etwas tun, reden, alles loswerden oder sich betrinken. Was er erfahren hatte, dazu noch, was er aus dem Abhörprotokoll wußte, es war einfach zuviel.
»Maria?«
Ihre Augen verschwammen in der Dunkelheit des Mauerschattens.
»Maria, wenn das wahr ist, dann sieht für mich alles anders aus.«
»Was sieht anders aus?«
»Die Klinik. Nie werde ich mit ihm arbeiten, nie! Schon gar nicht für ihn. Wie denn?«
Sie schwieg.
»Meinst du, es ist wahr?«
Sein Kopf schmerzte, er schmerzte an der Stelle, an der er auf einem Stein aufgeprallt sein mußte, niedergeschlagen von einem jungen Verrückten. »Der Junge ist der Sohn des Mannes, der in seinem Haus auf dem Col verbrannt ist. Und zwar dort, wo jetzt die Klinik hochgezogen wird.«
»Und das hat er dir gesagt?«
»Der Junge meint das. Das ist absolut sicher.«
»Sicher? Warum sagt er es nicht klar?«
»Weil er stottert, Maria.«
»Und du glaubst ihm?«
»Ja, ich glaube ihm. Ein Mensch in seiner Lage lügt nicht. Aber Thomas … Meinst du, er ist dazu imstande, Menschen umzubringen, nur um seinen bescheuerten Millionärs-Freizeitpark am Col durchzudrücken? Sag doch was, sag was!«
Er wollte eine Reaktion von ihr – nein, er wollte Gewißheit – und kannte die Antwort doch bereits: Er hatte sie im Untergeschoß der Villa Wilkinson gefunden.
Nun bekam er Marias Bestätigung.
»Ja. Ich halte ihn dazu für fähig. Wenn Thomas etwas durchsetzen will, ist er zu solchen Dingen imstande, dann kennt er nur eines: sich selbst und sein Ziel.«
Das hatte Bergmann schon einmal gehört, von Lindner selbst – und da lag er wohl vor ihm, Lindners ›moralfreier Raum‹, von dem Maria gesprochen hatte. Stefan umfaßte ihre Schulter, schüttelte sie.
»Er ist also in der Lage
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