Der Hypnosearzt
dem prächtig getrimmten Schnauzbart gehörte Walter Kunze. Walter war Produktionschef der Burgacher Kartonagenfabrik und obendrein mit Christas Freundin Hella verheiratet.
»Mein Gott, Christa, wie kann man bei solchem Nebel mit dem Fahrrad herumgurken? Kannst du mir das mal erklären?«
»Brauch ich nicht. Als ich losfuhr, gab's den Nebel nicht.«
Er war bereits ausgestiegen und kam auf sie zu. Typisch Walter. Walter, der Fürsorgliche, dessen gönnerhafte Hilfsbereitschaft nicht nur seiner Frau, sondern auch Christa auf die Nerven ging, weil sie keine Grenzen kannte. Jetzt allerdings war sie froh darum.
»Na, gib schon her!« sagte er gutmütig.
»Nun mach's doch nicht so kompliziert«, wehrte Christa sich schwach.
»Kompliziert? Auch noch kompliziert … Als Medizinerin müßtest du etwas von Vorsorge verstehen.« Er riß die Tür seines Wagens auf. »Los, rein. Das Rad geht durch die Heckklappe. Und deinen Rieseneinkauf kannst du ja auf den Schoß nehmen.«
Es gab keinen Widerstand. Christa stieg in den Kombi und hörte, wie Walter hinten das Fahrrad einlud. Dann ließ er sich in den Sitz plumpsen, schlug die Tür zu, kontrollierte, ob Christa sich angeschnallt hatte, und löste die Handbremse. Lichter krochen ihnen entgegen. Die dazugehörenden Fahrzeuge waren nicht einmal zu erkennen. Sie fuhren Schrittempo. Irgendwo weiter vorn schimmerte es rot. Sie hatten die Kreuzung der Umgehungsstraße erreicht. Walter stoppte. »Die sind doch alle bescheuert. Die geben Wetterumschwung und Sonnenschein durch, und beinahe hätte ich Hella noch zu 'nem Eis beim Italiener eingeladen. Und jetzt das. Was macht Stefan denn bei diesem Nebel?«
»Er ist nicht hier.«
»Schaut er jemandem tief in die Augen? Macht er Hypnose?«
Mit überflüssigen Bemerkungen so genau danebenzutreffen, daß einem übel werden konnte – auch das gehörte zu Walter Kunze.
»Er ›macht‹ keine Hypnose, Walter. Und wenn er eine Sitzung hat, schaut er auch nicht tief in irgendwelche Augen. Ich sagte doch, er ist nicht hier. Er hat seine Tante in Oberhausen beerdigt und ist auf der Heimfahrt.«
»Beerdigt?«
»Ja.« Christa wollte das Rosi-Thema nicht anschneiden. Nicht bei Walter. »Es handelt sich um eine ganz besondere Tante. Aber lassen wir das.«
»Ich wollte doch nur …«
»Du solltest besser aufpassen. Die Ampel ist grün.«
Er fuhr den Wagen über die Kreuzung, bog in die Heinrich-Heine-Straße ein und steuerte ihn vorsichtig den Berg hinauf. Dann sagte er: »Tut mir leid, Christa.«
»Wieso? Was?«
»Das mit der Beerdigung. – Und falls du was in den falschen Hals bekommen hast … Vielleicht hab ich mich nicht richtig ausgedrückt … Ich meine, wenn es jemanden gibt, der Stefan für all das, was er auf diesem Gebiet leistet, dankbar sein kann, bin schließlich ich das. Wer kann sich schon vorstellen, wie das war, als ich in Marthas Haus kam, und die Martha lag auf dem Boden, die Schere in der Hand, an der rechten Wange einen Schnitt und der ganze Boden voller Blut … Also ich kann dir sagen …«
Er brauchte es nicht zu sagen. Hella hatte Christa den Schock anschaulich genug geschildert, der sie und ihren Mann getroffen hatte, als sie ihre Schwägerin Martha in einer Blutlache auffanden. Martha hatte jahrelang an einer linksseitigen Trigeminus-Neuralgie gelitten, schleppte sich mit rasenden Schmerzen von Arzt zu Arzt, von Klinik zu Klinik, unterzog sich einer Kieferoperation und drei weiteren Operationen, bis man dann in einer Schmerzklinik auf die Idee kam, den Gesichtsnerv zu verschmoren.
Von da an lief Martha mit einem erstarrten Marionettengesicht herum, hatte Angst vor den Menschen und verlor sich tiefer und tiefer in einem Höllenabgrund von Depressionen und Schmerzen, bis zu jenem Tag, als die Grenzen alles Erträglichen überschritten waren und sie zur Schere griff und auf ihr Gesicht einstach.
Dann hatte Stefan sich ihrer angenommen, um nach einer langen Reihe von Sitzungen tatsächlich eines seiner ›Wunder‹ zu vollbringen. Martha war schmerzfrei. Die Spuren ihres Alptraums allerdings waren nicht mehr zu löschen.
»Ich möchte doch um Himmels willen nicht, Christa, daß hier ein falscher Eindruck …«
Sie legte Walter die Hand auf den Arm: »Ist ja gut. Nun hör auf davon.«
Sie hatten die Mitte der Heinrich-Heine-Straße erreicht. Der Nebel wurde nun dünner. Man konnte Bäume erkennen, Hausfirste und Licht, das aus den Fenstern fiel.
Walter stoppte und lud das Fahrrad aus, hielt Christa mit
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