Der Hypnosearzt
Herz schlagen, nicht allzu kräftig, aber deutlich. Auch der Brustkorb hob und senkte sich. Es gab keine Anzeichen von Schnappatmung oder Atemstillstand. Nun die Pupillen. Sie zogen sich unter dem dünnen Strahl der Bleistiftlampe nur wenig zusammen. Die Lider aber begannen zu zittern, das Gehirn schien noch mit Sauerstoff versorgt zu sein.
Stefan schüttelte den Mann vorsichtig an der Schulter: »Hören Sie mich?«
Es kam keine Reaktion.
»Können Sie mich hören?« Stefans Stimme wurde lauter. Nichts.
»Und jetzt?« fragte Konietzka neben ihm.
Ja, was jetzt? Die Atemwege schienen frei – doch eine Reanimation in diesem Zustand versuchen? Der Mann konnte innere Verletzungen erlitten haben. Bergmann tastete zunächst den Schädel ab. Da waren Schwellungen an der rechten Seite, aber die Schädeldecke schien in Ordnung. Weder an den Ohren noch an der Nase gab es irgendwelche Blutspuren …
Weiter. Das Brustbein – okay. Die Rippen gleichfalls. Dies war vermutlich ein Unfallschock, aber um genau festzustellen, ob eine Rückenverletzung vorlag, mußte der Rettungswagen kommen. Immerhin, wenn die Wirbelsäule nichts abgekriegt hatte, schien die Sache nicht so schlimm …
Und der andere?
Tot, hatte Konietzka gesagt.
Stefan Bergmann warf einen kurzen Blick zu den Wagentrümmern hinüber. Dann begannen seine Hände wieder den Körper des Bewußtlosen abzutasten. Sicherheitsgurte konnten üble Quetschungen oder Knochenverletzungen hervorrufen. Bei dem Mann schien alles in Ordnung. Stefan öffnete die Hose noch weiter und fühlte den Bauch ab. Eine Blaufärbung über dem rechten Beckenrand, das war alles. Der Bauch selbst war nachgiebig und ohne innere Spannungen.
Bergmann nahm das Spritzenbesteck aus dem Koffer und zog ein kreislaufförderndes Mittel auf, das einem weiteren Druckabfall vorbeugen sollte. Er hatte einige Mühe, eine brauchbare Vene zu finden, doch dann klappte auch das. Viel mehr war bis zum Eintreffen des Rettungswagens nicht zu tun.
Konietzka kauerte sich neben ihn. »Und?«
»Na ja, nichts Dramatisches … Zumindest scheint es so. Natürlich nur, wenn er sich nicht einen Wirbel angeknackst hat. Aber so, wie's aussieht, scheint es eher eine Gehirnerschütterung und ein Kreislaufzusammenbruch zu sein.«
»Trotzdem, Doktor, eine schlimme Sache.«
Bergmann hörte kaum hin.
»Ich meine den anderen. Den da drüben im Wagen. Wenn ich nur wüßte, was das bedeutet? Ich meine das Loch …«
»Was für ein Loch?«
»Das Loch im Gesicht. Der hat 'nen Schuß abgekriegt – ins Auge. So sieht's zumindest aus.«
»Unsinn, Herr Konietzka. Das ist irgendeine Trümmerverletzung.«
Der andere Waldarbeiter war herangetreten. Noch einmal richtete Stefan Bergmann den Lichtkegel seiner Lampe auf das Gesicht des Bewußtlosen, nahm es erst jetzt richtig wahr. Das dichte rotblonde, schweißverklebte Haar, das ihm in die Stirn hing, der Schmutzstreifen, der sich von der linken Schläfenseite bis zum rechten Wangenknochen zog, der leicht geöffnete Mund … Trotz allem, weder der Schreck noch die Schmerzen und die Wirkung des Kreislaufzusammenbruchs vermochten es zu ändern. Es blieb das beachtenswert gut geschnittene Gesicht eines etwa vierzigjährigen Mannes.
»Bleiben Sie mal hier«, sagte Bergmann zu Konietzkas Kollegen. »Setzen Sie sich neben ihn auf den Waldboden und kontrollieren Sie den Atem. Am besten legen Sie dazu die Hand leicht auf seinen Brustkorb, dann spüren Sie, wie er atmet. Falls irgend etwas ist, rufen Sie mich sofort, ja?«
Ein schwacher stechender Benzingeruch hing über dem verbeulten schwarzgrünen Blech, über Glassplittern, verbogenen Zierleisten und zerfetztem Gummi.
»Die hatten vielleicht Glück, daß die Karre nicht gleich explodiert ist. Aber die Tür ist nicht aufzukriegen, Doktor.«
Konietzka zerrte vergeblich an der Fahrertür.
Von der Windschutzscheibe existierten nur noch milchweiße, tausendfach von Sprüngen geäderte Raster. Das Licht der Lampe leuchtete den Innenraum aus. Das erste, was Stefan Bergmann auffiel, war Papier, viel Papier, mit Schreibmaschinenschrift bedeckte DIN-A4-Seiten, die auf der Rückbank verstreut waren. Dort gab es auch einen Aktenkoffer mit aufgesprungenem Deckel. Der Oberkörper des Fahrers lag schräg über dem Beifahrersitz, das rechte Bein hatte sich im Schalthebel verfangen.
So weit es ihm möglich war, schob Bergmann sich durch die Fensteröffnung. Konietzka schien recht zu haben: Der Mann war offensichtlich tot. Stefan streckte die
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