Der Hypnosearzt
Kohlrouladen vor sich, und ihn anstarrte.
»Ich muß sofort ins Bett«, hörte Stefan sich sagen. »Irgendwo und irgendwann hat jeder seine Grenzen. Ich geh ins Kabuff. Ich glaub, das ist besser so. Da kann ich ruhig schlafen …«
Das ›Kabuff‹ war sein Arbeitsraum, in dem für derartige Fälle auch eine Schlafcouch stand …
Stefan schlief bis spät in den nächsten Morgen hinein in dem schmetterlingsleichten Gefühl, daß Rosi ihm zusah und seinen Schlaf beschützte.
An diesem Mittwochvormittag kamen nur wenige Patienten, so daß in der Praxis Ruhe herrschte und Stefan kurz nach elf nach Burgach hinunterfuhr, um die Laborsendungen aus dem Schließfach abzuholen und sich Zeitungen zu kaufen. Nun war er doch neugierig … Was da in der Nacht passiert war, mußte auch die Presse interessieren. Schließlich war das nicht irgendein Unfall, sondern ein Mordanschlag – ein richtiggehendes Attentat!
Im Kiosk am Marktplatz blätterte Stefan die Zeitungen durch. Er fand nichts. Die FAZ hatte er bereits zu Hause aus dem Briefkasten gezogen. Auch sie brachte keine Zeile. Wahrscheinlich war die Nachricht erst nach Redaktionsschluß eingegangen.
Als um dreizehn Uhr die ARD die Tagesschau brachte, war es das gleiche. Kein Wort über die Ereignisse der Nacht.
Dann, am Nachmittag, als der Praxisbetrieb anzulaufen begann, streckte Marga, die Sprechstundenhilfe, ihre feuerrote Mähne durch die Tür.
»Herr Doktor! Da läuft was im Fernsehen!«
Es war die Hessen-Rundschau, und Stefan kam gerade noch rechtzeitig, um die Sprecherin sagen zu hören: »… der mysteriöse Vorfall beschäftigt die Polizei. Auch das Bundeskriminalamt hat sich eingeschaltet. Wie wir erfahren konnten, hat Thomas Lindner, Arbeitgeber des toten Chauffeurs und Eigentümer des Jaguars, in Frankfurter Börsenkreisen den Ruf eines geschickten Investment-Bankers mit internationalen Beziehungen, Lindner, der in Südfrankreich lebt und arbeitet, verfügt über eine Niederlassung in der Frankfurter City. Die einzige Information, die wir vor Redaktionsschluß erhalten konnten, war, daß der bekannte Banker sich in einer Frankfurter Privatklinik befindet, um sich von seinen Verletzungen und dem Unfallschock zu erholen.«
Stefan versuchte, sich an das blutige, mit Schmutz und Erde beschmierte Gesicht im Wald zu erinnern. Es gelang ihm nur unvollkommen. Außerdem: Er wurde beim Röntgen gebraucht …
Also, was sollte das alles?
Er verließ den Laborraum, in dem das TV-Gerät stand, ging den Korridor entlang, nickte zwei Patientinnen zu, die ehrfürchtig bei seinem Anblick ihr aufgeregtes Tratschen abstellten, und betrat das Kabuff.
Der Koffer stand dort, wo Stefan ihn am Abend hingestellt hatte, direkt am Fußende seines Notbettes. Er hob ihn auf den wackligen Schreibtisch, an dem er bisweilen seine Abende verbrachte, schaltete die Lampe ein und sah den Koffer an.
»Dafür kriegst du einen Kleinwagen. Mindestens ein Reitpferd«, hatte Christa gestern abend noch verkündet. »Die Beschläge – reines Gold. Ich weiß, was so was kostet.«
Gut, er wußte es nicht. Auch nicht, was ein Reitpferd wert war. In solchen Dingen war Christa ihm immer voraus gewesen. Dabei wirkte auf den ersten Blick der Koffer nicht besonders beeindruckend. An der rechten Seite war er verschrammt, als wäre mindestens ein Pflug darübergefahren, vorn das gleiche Bild: schräge, tiefe Rillen, das Material hatte standgehalten. Und an den Stellen, an denen er nicht mit Schmutz in Berührung gekommen war, zeigte er noch immer den vornehmen bordeauxfarbenen Glanz. Die Sensation aber bildeten tatsächlich die Beschläge und Schlösser. Es handelte sich um sehr massive Zahlenschlösser. Sie hatten nicht einen einzigen Kratzer abbekommen. Genauso verhielt es sich mit der Metallplatte, die den Tragbügel hielt. Sie war gut zwölf Zentimeter lang, etwa vier Zentimeter breit und schien aus purem Gold. Jedenfalls strahlte die Platte, als stünde sie in einer Juwelierauslage. Und sie strahlte noch etwas aus: die Mitteilung: ›Du kannst dir so was ja nie leisten!‹
»Wer läuft schon mit so einem Ding in der Hand durch die Gegend?« hatte Christa kopfschüttelnd gefragt. »Doch nur ein Parvenü.«
Oder ein Banker. Nicht um Angabe, sondern um Image handelte es sich hier wohl.
Stefan betrachtete die Schlösser.
Elektronische Verriegelungen waren der letzte Schrei. Zumindest hatte er solche schon bei den Aktenköfferchen bestaunt, mit denen die Kollegen auf den Kongressen auftauchten.
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