Der Hypnosearzt
Schüler zum Singen bringen will. Er hatte nicht viel Freude an Stefan gehabt. Was sollte er dem Kommissar schließlich erzählen? Immerhin erfuhr Bergmann etwas: Der Mann aus dem Jaguar stammte aus Frankfurt und war Bankier.
Na gut. Stefan schob das leere Bierglas zur Seite. Er hatte genug. Es ging ihm besser. Er wischte sich mit der Serviette den Mund ab, als sein Blick auf den Gegenstand dort an der Tür fiel.
Im Licht der Eßzimmerlampe schien sich der Koffer merkwürdig verändert zu haben. Trotz Dreck und Schrammen wirkte er phantastisch luxuriös. Rotbraunes Leder schimmerte, und das Gold der Verschlüsse spiegelte sich im Licht.
Christa, die seinem Blick gefolgt war, sah Stefan an – so wie nur sie blicken konnte.
»So«, sagte sie, »und nun erzähl mir. Wenn's geht, der Reihe nach …«
Seine Gabel zog Furchen durch den Kartoffelbrei. Stefan tat seiner Frau den Gefallen und berichtete der Reihe nach, wie sie es wünschte. Er faßte sich ziemlich knapp. Als er fertig war, fragte sie:
»Und wo haben sie den Mann hingebracht?«
»Keine Ahnung. In irgendeine Unfallklinik, nehme ich an. Transportfähig war er auf jeden Fall.«
»Was hatte er denn?«
»Wie soll ich das genau wissen? Eine leichte Gehirnerschütterung, irgendwelche Quetschungen, sicher auch an den Rippen, vielleicht etwas im Bauchraum …«
»Und der Koffer? Was ist mit dem?«
Bei Gott, es war doch eine einfache, ganz normale Frage! Und das dämliche Ding stand dazu noch immer genau in seinem Blickfeld. Sie sahen es jetzt beide an. Stefan spürte die Müdigkeit wieder in sich aufsteigen, rascher als zuvor. »Der Koffer … Ja, das ist auch so eine Sache … Hast du einen Schnaps?«
Sie widmete ihm einen dieser Christa-Blicke, bei denen man nie unterscheiden konnte, ob sie jemanden wirklich ansah oder über dem Mikroskop irgendwelche Streptokokken zählte. Stefans Erschöpfung wuchs. Aber dann kam der Schnaps und gab ihm so etwas wie Klarheit zurück.
»Ich hab 'ne ganze Menge hinter mir, Christa. Und ich bin verdammt müde.«
»Ich weiß, Stefan. – Aber was ist mit dem Koffer?«
Er trank den Rest des Klaren, holte tief Luft und brachte es fertig, auch zum Thema Koffer eine Kurzfassung zu liefern. Dabei beobachtete er, wie sich Christas Hände rechts und links neben dem Teller so heftig auf die Tischplatte preßten, daß die Sehnen hervortraten.
»Ja, spinnst du denn? Sag mal, du hast sie ja wohl nicht mehr alle …«
»Was soll das heißen?«
»Was das heißen soll? Das fragst du noch? Du erzählst, daß sich in diesem kaputten Auto nicht nur ein toter Chauffeur befand, sondern daß da auch eine ganze Menge Dokumente herumlagen und daß der Besitzer des Wagens trotz seines Zustands nichts anderes im Kopf hatte, als daß du diese Dokumente aufsammelst und beiseite schaffst!«
»Was heißt beiseite schaffen? Daß ich die Papiere an mich nehme …«
»Und wo ist da der Unterschied? Das kommt ja wohl auf das gleiche raus. Geht dir das denn nicht auf? Kapierst du nicht, daß die ganze Sache zum Himmel stinkt und du dich damit für irgendeine Schweinerei zum Helfer gemacht hast?«
»Schweinerei? Helfer?«
Er versuchte aufzustehen, doch er kam nicht zurecht damit, irgend etwas mußte seine Beine mit flüssigem Kautschuk gefüllt haben. Also blieb er sitzen und versuchte, den Sinn von Christas Worten zu erfassen. Es gelang ihm nur unvollkommen.
»Stell dir doch mal die Situation vor …« Seine Stimme klang sehr schwach. »Ich hab's dir doch erklärt. Ich hab … ich hab nicht viel nachgedacht. Wie auch? Ich hatte anderes zu tun. Und angeschlagen war ich auch.«
»Das sieht man«, sagte sie und warf wieder einen Blick auf den Koffer.
Es irritierte ihn nicht. »Ich wollte dem Mann einfach einen Gefallen tun.«
»Gefallen?« wiederholte sie. »Na schön. Und die Polizei? Hast du der was von dem Koffer erzählt?«
»Wieso? Wieso sollte ich das?«
»Das fragst du im Ernst?«
»Ja. – Was hat denn das alles mit der Polizei zu tun?«
Seine Beine funktionierten wieder. Stefan nutzte die Gelegenheit und stand auf. Er mußte sich am Tisch festhalten. Auch Christa erhob sich und streckte den Arm aus, um nach seiner Hand zu greifen. Ihr Gesicht wurde wieder sanft und weich.
Im Zeitlupentempo ging er zur Tür. Er war schon halb aus dem Raum, als ihm noch etwas einfiel. Er bückte sich, nahm den Koffer auf und drehte sich noch einmal zu Christa um, die wieder am Kopfende des Tisches stand, die Teller mit den halb gegessenen
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