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Der Hypnosearzt

Der Hypnosearzt

Titel: Der Hypnosearzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Du schwimmst im Wasser. Es umspült dich … So leicht, alles ist so leicht. Du brauchst dich nicht anzustrengen, du brauchst kaum zu atmen, liegst im Wasser, das dich trägt. Ganz leise schlägt dein Herz, ganz ruhig geht die Atmung, fließt wie das Wasser, leise und ruhig. Hörst du meine Stimme? Ja? Jetzt gehst du aus dem Wasser … Das Wasser trägt dich nicht mehr, du trägst dich selbst, dein Körper wird schwerer. Du mußt jetzt Schritt vor Schritt setzen. Du gehst nach Hause, Annemie. Du bist sieben Jahre alt, und du gehst nach Hause. Da ist die Tür …«
    Sie ging.
    Sie ging mit kleinen kurzen Schritten, ging diesen endlosen Schattenkorridor entlang, an dessen Wänden sich Nischen öffneten, Schattennischen. Es war, wie man im Traum so geht, aber dann tauchte ein wenig Licht um sie auf, und sie konnte Einzelheiten erkennen.
    Das war die Tapete, die vom Gang in Mamas Zimmer führte. Sie hatte ein blaugrünes Schmuckband, war ziemlich alt, das schon, aber man konnte die Rosenbänder darauf sehen, blaugrüne Rosen.
    Und dort die Tür – ein rautenförmiger Fleck, Licht lag darauf, bläulich, mondblau. Annemie sah den abgesprungenen Lack an der Ecke, die drei hellen Striemen in mattstaubigem Braun, die das Holz freilegten, so daß es aussah, als sei die dreikrallige Pranke eines bösartigen Tieres darüber gestrichen. Und dann die alte abgenutzte Klinke.
    Dahinter aber waren Licht und Musik.
    Die Musik war leise. Doch plötzlich war da ein Geräusch, das sie zusammenfahren ließ, hoch und grell wie der Schrei des Kaninchens, dem ihr Vater damals nach ihrem Geburtstag im Hof mit dem Beil den Kopf abgeschlagen hatte – und dann ein Stöhnen …
    Sie war stehengeblieben, sie schluckte, sie hatte Angst.
    Geh, Annemie … geh, geh. Du bist jetzt sieben. Du mußt gehen.
    Unter der Türleiste quoll das Licht hervor. Annemie hatte die linke Hand auf der Klinke, ihre Hand war ganz feucht. Sie zitterte. Und drückte die Klinke trotzdem hinunter, öffnete die Tür einen Spalt – und sah …
    Das Licht kam von den beiden Kerzen auf dem Boden neben dem Bett. Die Kerzen steckten in Bierflaschen.
    Annemie wollte die Tür wieder schließen, um wegzulaufen. Aber sie konnte nicht, sie stand wie gelähmt. Dieses Gesicht, ein Frauengesicht mit weit aufgerissenen Augen. Die Haare waren dunkel und naß von Schweiß, sie klebten am Hals, der sich zurückbog. Und der Mund war wie ein glänzendes, dunkles rundes Loch, aus dem jetzt ein neuer Schrei drang.
    Annemie sah es, o ja, sie sah das ganze entsetzliche Bild in dem schmalen Streifen zwischen Türkante und Rahmen.
    Ihr Herz raste.
    Vor diesem Kopf war eine Schulter zu sehen.
    Die Muskeln daran waren verkrampft, dicke schwere Männermuskeln. Der Haarkranz um den Kopf war kurz geschoren. Darüber befand sich eine Glatze. Und die Ohren waren so rund und rot wie die Henkel von Annemies Kindertasse.
    Neben dem niedrigen Bett lag eine dicke Hornbrille mit schwarzem Rand auf dem Boden. Und als Annemie die Ohren, die Glatze und die Brille sah, erfaßte sie die Situation, zögernd zunächst, dann aber grell und gewaltsam wie eine Leuchtschrift:
    Oskar!
    Das ist Oskar.
    Und weil er die Brille nicht aufhat, sehen Oskars Augen so schrecklich aus, grau glänzend wie bei einem Irren. Auch die Haut glänzt und die dicke fette Unterlippe.
    Und dieses Flimmern in den Augen! Voller Haß, Augen, wie sie Mörder haben.
    »Raus«, brüllte Oskars Stimme.
    Annemie holte Atem, brauchte Luft. Sie wollte ja raus. O ja, fort wollte sie, aber sie konnte es nicht. Ihre Schuhe waren wie festgeklebt auf dem Boden, und ihre Knie zitterten.
    »Raus, du Saugöre! Tür zu!«
    Annemie rührte sich nicht.
    »Raus, oder ich bring dich um!«
    Den Kopf hielt Oskar jetzt hoch erhoben; er hielt sich mit beiden Armen abgestützt, kauerte dort über der Frau, hatte nichts am Leib, gar nichts, hatte nur Muskeln und schwarze Haare und diesen dicken Bauch. Und noch etwas hatte er, das sah Annemie, als er aufstand. Er hatte dieses schreckliche Ding dort unten zwischen den Beinen, dieses Ding, das wippte wie ein dickes, glänzend rotes Stück Schlauch.
    Und die Frau, die Frau auf der Matratze, die Frau, die er gerade umbringen wollte, die Frau, die sich zur Seite dreht, Annemie das Gesicht zeigt, die Frau, die geschrien hat …
    Die Frau ist Mami!
    Oskar hat die Hände nach Annemie ausgestreckt. Nun steht er, zeigt die Fäuste, und das Kind kann sich wieder bewegen. Wie mit einem heißen Strahl sind Leben und Kraft in sie

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