Der Hypnosearzt
zurückgekehrt.
»Nein!« schluchzte sie. »Nein, nein.«
»Geh schon, nun geh doch, Herrgott«, sagte Mami.
Annemie rennt.
Direkt neben dem Eßtisch stand eine kleine und überaus prächtige Glasvitrine mit kokett geschwungenen Chippendale-Beinen.
›Das Tiffany‹, hatte Stefan sie genannt. Christas Mutter Inge hatte es ihnen zur Hochzeit nach Burgach geschickt, und es kam nicht leer an. Die Basisausstattung wurde gleich mitgeliefert, denn diese ›Burgach-Geschichte‹, wie Mutter Inge sagte, mußte schließlich ein ›bißchen Niveau‹ bekommen, und so legten sie dort in Hannover im Medizinerklan der Rüttgers zusammen: Der Herr Professor rückte Kristallflakons und Likörgläser aus böhmischem Rubinglas heraus; ein ganzes Set von silbernen Kuchengabeln und Schaufeln die vergoldeten Mokkatäßchen und Zierteller stammten von seinen Dr.-med.-Söhnen Jochen und Jürgen. Zwischen all der Pracht lag ein einzelnes schwarzes Eisernes Kreuz aus dem Ersten Weltkrieg. Stefans Großvater hatte es einst bekommen, und Stefan bekam jedesmal einen leichten Anflug von schlechtem Gewissen, wenn sein Blick darauf fiel. Doch so lächerlich das auch sein mochte und sosehr er sich manchmal dafür verfluchte – irgendwie wollte auch er im ›Tiffany‹ vertreten sein.
Nun hätte er beinahe eine zweite Chance bekommen: Lindners Geschenk, das Barockjuwel von Silberkästchen.
Doch Christa sperrte sich. »Wieso eigentlich?« fragte Stefan verblüfft.
»Weil ich das verdammte Ding da nicht drinhaben will.«
»Du hast doch selbst gesagt, daß es mehr wert sei als der ganze andere Krempel zusammen.«
»Das steht nicht zur Debatte.«
»Was dann?«
»Es paßt nicht dazu. Ich will keinen Lindner hier vertreten sehen. Bitte frag mich nicht, wieso. Ich kann den Kerl einfach nicht leiden, das weißt du doch. Wenn ich an ihn denke, kriege ich ein Kribbeln im Magen. Also lassen wir's – bitte, Stefan.«
Sie hatte eine Art und Weise, dieses ›Bitte‹ vorzubringen, gegen die es keinen Widerstand gab.
Und so stand das Kästchen nun auf Stefans Schreibtisch. Wenigstens bot es einen standesgemäßen Platz für seinen Drehbleistift, gleichfalls aus Silber, und Christas Weihnachtsgeschenk.
Er öffnete den Deckel und nahm den Stift heraus.
Die Visitenkarte darin lag unter einer Schicht von Tablettenfolien und Heftklammern.
Stefan warf einen Blick auf seine Schreibtischuhr: kurz vor acht. Mit dem verdammten Manuskript für den WDR war er auch nicht weitergekommen, und für acht Uhr hatte er Annemie Markwart bestellt.
Stefan zog den Recorder heran, legte die Kassette ein, die die letzte entscheidende Sitzung mit Annemie aufgezeichnet hatte, und drückte auf die Play-Taste.
Zuerst kam ein würgendes ersticktes Schluchzen, dann: »Mama, Mama!« Und nochmals ganz leise: »Mama, was hat er dir getan? Ich … Mama, ich hab Angst …«
Annemie Markwarts Stimme, doch man konnte sie kaum erkennen. Sie klang verändert, hoch, kindlich und verzerrt von unsäglicher Furcht.
Auf dem Tonband war nun nur ein Rauschen zu hören, dann ein hechelndes Atmen.
Und wieder Annemies Stimme: »Tu mir nichts! Nein, tu mir nichts … bitte.«
Stefan ließ die Kassette weiterlaufen und rief sich die Situation wieder ins Gedächtnis: Annemie Markwarts Gesicht bläulich verfärbt, dann die Probleme mit der Luft, eine Art Schnappatmung. Sie war in der Hölle. Bergmann konnte sie nicht erreichen, und es war sein eigener verdammter Fehler gewesen, den Rapport zu ihr nicht tiefer auszubauen. Er hätte sich früher einschalten müssen. Als er es nun versuchte, reagierte Annemie kaum noch, und es hatte ihn große Mühe gekostet, sie in die Wirklichkeit zurückzubringen.
Und trotzdem, dachte er. Wir hatten beide unwahrscheinliches Glück. Zeitrückführungen, die Regressionen in die Kindheit, sind meist qualvoll, und oft braucht man ein halbes Dutzend Sitzungen, bis man am Punkt ist.
Annemie Markwart hatte ihn auf Anhieb erreicht.
Oskar. Der nackte Oskar. Und dazu noch diese Mutter, um die das Kind gezittert hatte, weil es dachte, Oskar bringe sie um.
Stefan sah auf die Uhr. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür.
Es war genau acht.
Sie war sehr blaß dieses Mal. Und sie wirkte müde mit den geschwollenen Lidern und den Ringen unter den Augen, die sie tapfer mit Puder zugedeckt hatte. Aber sie schien ruhig, ja. Annemie Markwart brachte sogar ein leichtes Lächeln zustande, als Stefan sie nach der Begrüßung fragte, wie denn der Besuch bei ihrer Mutter
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