Der Hypnosearzt
schaltete auf Gelassenheit. Er brachte das seinen Patienten bei, er hatte es zuvor selbst gelernt. Ihm fiel ein, was sein Großvater in solchen Situationen gesagt hatte: »Ein einziger falscher Schritt, Junge, und die ganze Richtung stimmt nicht mehr.«
»Und?« fragte Stefan.
»Herr Doktor, dieser Mann sagte aus, daß er, ehe er mit dem Verletzten an Bord losfuhr, nochmals an die Böschung gegangen sei, um seine Taschenlampe zu suchen. Die hatte er anscheinend verloren. Dabei sah er, wie Sie den Hang heraufkamen. Sie trugen einen Koffer, das stimmt – nur, sagte der Mann, sei das kein Arztkoffer gewesen. Er wisse das genau. Mit Arztkoffern kenne er sich nämlich aus.«
»Was sonst?«
»Genau – was sonst? Das wollten wir eigentlich Sie fragen«, sagte Warnke.
Stefan lächelte. Er lächelte ganz ruhig. Und auch sein Herz blieb es. Aber ganz plötzlich standen die Bilder wieder vor ihm: die Nebelreste, die Nässe, das Blitzen des Blaulichts, die Stimmen oben auf der Straße – und er, der noch einmal zum Autowrack zurückging, diese verdammten Papiere einsammelte und dann wieder, Lindners Koffer in der Hand, den Hang hinaufkeuchte …
»So? Dieser Fahrer weiß das also ganz genau? Und was meinte er damit?«
»Er meinte gar nichts«, lächelte Oster. »Nur ich – ich weiß nicht so recht, was ich meinen soll.«
»Herr Oster, in dieser Nacht herrschte Nebel. Das steht in Ihrem Protokoll. Und es gab Stellen, da sah man kaum die Hand vor Augen. Dieser Mann hatte seine Taschenlampe verloren, Sie haben es ja gerade selbst gesagt … Gut, es ist dunkel, er hat kein Licht – aber er kann ganz genau unterscheiden, was für eine Sorte Koffer ich in der Hand habe? Was soll das eigentlich?«
»Was das soll? Es ist unsere Pflicht, jeder Spur nachzugehen und jede Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Diesen Spruch kennen Sie doch.«
Stefan spürte, wie seine selbstverordnete Ruhe zu bröckeln begann. Er schüttelte wild den Kopf. »Nein, den kenne ich nicht. Mit der Polizei habe ich noch nie etwas zu tun gehabt.«
Hast du auch nicht. Wirst du aber vielleicht … Vielleicht marschierst du bereits einen Kilometer in der falschen Richtung.
Bergmann lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Wie lautet denn nun Ihre Frage, Herr Kriminalrat? Denn eine Frage haben Sie ja.«
»Ganz einfach: Was hielten Sie in der Hand in dieser Nacht? Ihren Arztkoffer?«
»Was denn sonst? Wollen Sie ihn sehen? Soll ich ihn holen? Ich habe sogar drei von den Dingern.« Stefans Stimme wurde lauter. »Wollen Sie etwa sagen, daß Sie nur wegen dieser Geschichte, dieses Mumpitzes hierhergefahren sind? Das kostet doch 'ne Menge Zeit?«
»Oh …« Oster lächelte, »die muß man sich manchmal nehmen.«
Und meine Zeit? Stefan sagte es nicht, er betrachtete Lindners Silberkästchen, und ein kühler Hauch strich über seine Stirn. Ihm war klar: Dies ist Angst. Und warum auch nicht? Es war ja nicht allein der verdammte Koffer …
Vielleicht stand dein Nachbar wieder mal hinter der Gardine und hat beobachtet, wie Lindner dich besuchte? Oder irgendein anderer? So ein Superschlitten fällt schließlich auf. Also rück damit raus, sofort.
»Mit irgendeinem anderen Koffer kann ich Ihnen nicht dienen …«
»Wirklich nicht?«
Verdammt noch mal, du lügst sie ja an! Stefan dachte es im selben Augenblick, als er antwortete: »Nein.«
Themawechsel, dachte er dann, lenk sie ab. »Aber das wollte ich noch sagen, Herr Warnke: Herr Lindner kam zu mir. Er hat mich hier besucht.«
Warnkes Haltung veränderte sich schlagartig. »Wieso haben Sie mir das nicht gesagt, Doktor? Wieso haben Sie nicht angerufen?«
»Wieso? Weil es nichts anzurufen gab. Was hätte ich Ihnen denn erzählen können?« Wieder blickte Stefan auf das Kästchen. »Der Mann kam hierher, um sich zu bedanken. Seine Frau stieg noch nicht einmal aus dem Wagen, und er selbst blieb nicht länger als fünf Minuten. Eine reine Höflichkeitsgeste. Und eigentlich doch völlig normal.«
Sie schwiegen beide. Dann sagte Stefan:
»Jetzt kann ich wohl auch noch eine Frage stellen.«
»Bitte, Herr Bergmann.« Es verging eine ziemlich lange Pause, ehe Oster ihn dazu aufforderte.
»Was macht denn einen Herrn Lindner so interessant, daß sich ein leibhaftiger BKA-Kriminalrat bis zu mir bemüht?«
»Nun, Berufskiller werden halt nicht so häufig tätig.«
»Das hat mir Herr Warnke schon gesagt. Attentate sind interessanter als Morde. – Aber was ist mit Herrn Lindner?«
»Nun, das wüßten
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