Der Hypnosearzt
Côte d'Azur einzuwenden? Außerdem: was hatte er, Stefan, mit den Geschäften des Herrn Lindner zu tun?
Aber das wollte Christa nicht hören.
Was sie wollte, war stets das gleiche: Den Sommer verbrachte man in der Großfamilie Rüttger, einen Sommer in der alten Wassermühle in Niedersachsen – und natürlich stellte Papi die sogar kostenlos zur Verfügung. Und außerdem, Doris, ihre Schwägerin, hatte gerade das dritte Kind bekommen und hatte so herzlich gebeten, sie doch zu besuchen.
Der Rüttger-Klan!
Sie wechselten kein weiteres Wort über das Thema Ferien, bis es unaufschiebbar wurde.
Drei Tage vor dem Großreinemachen, das jeder Praxisschließung vorausging, und eine halbe Stunde nach einer neuen heftigen Auseinandersetzung mit Christa, faßte Stefan Bergmann seinen Entschluß.
Saint-Michel. Die Côte d'Azur …
Ich fliege.
Für eine Woche wenigstens. Anschließend dann die Mühle, wenn's schon nicht anders geht …
Auf der Karte hatte er sich alles betrachtet. Die Stadt Toulon, die Iles d'Hyères, dann der große Strand, der wie ein Bogen von Le Lavandou zu einer weiteren Halbinsel verlief … Kleinere Orte gab es dort, die Küste war weniger besiedelt als die von Saint-Tropez oder Sainte-Maxime im Osten, wo sich die Urbanisierung weit ins Land hineingefressen hatte.
Berge gab es auch. Stefan las die Höhenmarkierungen: zweihundertfünfzig, dreihundert Meter … Nein, es waren eher Hügel, sie schienen bewaldet, und vor der weiten Bucht lag das Mittelmeer!
Mein Gott, wieso war Christa nur so stur?
Dann dachte Stefan: Irgendwann muß das durchgekämpft werden. Irgendwann muß sie begreifen, daß es kein Vergnügen ist, sich dem ewig abschätzenden Blick ihres Papis und dem dämlich-herablassenden Grinsen ihrer Brüder zu stellen.
Und schon gar nicht in den Ferien!
Stefan nahm den Hörer und tippte die Nummer von Lindners Büro in den Apparat. Er gab seinen Ankunftstermin durch und sagte zum Schluß: »Wahrscheinlich komme ich ohne meine Frau …«
»Wie bedauerlich!« hörte er Laura Faber näseln. »Nun, in jedem Fall wird Herr Lindner sich sehr über Ihr Kommen freuen. Ich kann Ihnen das versichern. Er hat mir für den Fall Ihrer Zusage aufgetragen, Sie herzlichst zu grüßen …«
»Wissen Sie, wie man am besten da runter kommt?«
»Das ist kein Problem. Nicht für Sie, Herr Doktor. Falls Sie Toulon direkt anfliegen, was ja näher liegt, müßten Sie leider in Paris umsteigen. Das bedeutet zwei Stunden Wartezeit. Ich habe das alles bereits nachgecheckt. Deshalb schlage ich vor, Sie nehmen den Direktflug Frankfurt-Marseille.«
»Und wie komme ich von Marseille …«
»Oh, ich sagte ja, kein Problem. In Marseille erwartet Sie Herrn Lindners Hubschrauber. Der Pilot heißt Paco Ferret. Aber ich werde Ihnen den Namen, das Ticket und alle Einzelheiten noch zukommen lassen. Nochmals vielen herzlichen Dank, Herr Doktor.«
Er selbst kam noch nicht einmal dazu, ein ›Danke‹ zu sagen.
Er war viel zu verwirrt …
KAPITEL 4
Der Airbus senkte die linke Flügelspitze. Dort unten, vor dem lichten Blau des Meeres, erschien wieder die weiße Stadt. Sie war erheblich näher gekommen. Aus Spinnenlinien waren Straßen geworden, aus hellen Punkten Schiffe.
Stefan landete doch in Toulon.
»Hören Sie«, hatte er zu Laura Faber gesagt, »was sind schon zwei Stunden Warterei in Paris? Überlegen Sie doch, wegen zwei läppischer Stunden einen Hubschrauber nach Marseille zu schicken – nein, da fliege ich über Paris …«
»Wie Sie wünschen, Herr Doktor.«
Auf diese Formel schien alles hinauszulaufen.
Die beiden netten älteren Leute neben Stefan, ein dicker, glatzköpfiger Franzose in einem geradezu abenteuerlichen Freizeithemd und seine Frau, wurden richtig aufgeregt. »Und dort drüben auf der anderen Seite liegt Saint-Tropez. Erinnerst du dich? Weißt du noch, chérie, Saint-Trop?«
»O là-là!« erwiderte chérie und strahlte.
Stefan hatte den Fensterplatz. Er drückte die Nase gegen die Plastikscheibe, sah noch mehr Schiffe, ganze Schwärme von Booten, und erinnerte sich an das, was er in einem seiner Reiseführer gelesen hatte, daß nämlich der internationale Flughafen von Toulon in Hyères lag.
Zum ersten Mal verspürte er etwas wie Ferienstimmung.
»Man wird Sie am Flughafen erwarten, Herr Doktor …« Auch das hatte die Faber in ihrem unverwechselbaren Hausdamenton erklärt.
Na gut, am Flughafen. Bloß wo?
Die Maschine setzte auf, rollte zu ihrer Landeposition und kam endgültig
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